Fakultativer Unterricht und Arbeitsgemeinschaften


Grundsätzliche Tendenzen

Nach 1975 entstand größtes Interesse an der Computertechnik. Dieses Interesse wurde zum Teil durch offizielle Medien angeregt, sehr schnell hat sich dieser Prozeß verselbständigt. Die Computerfreunde wurden eine große Gruppe, die viele Möglichkeiten fanden, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu  entwickeln. Man nutzte die Möglichkeiten in entstehenden Schulkabinetten, in betrieblichen Computerzentren und Einrichtungen der sogenannten "gesellschaftlichen Kräfte".

Grundtendenzen sollen an Beispielen angedeutet werden, die repräsentativ für diese Entwicklung stehen. 


Erweiterte Oberschule [EOS] "Artur Becker" Suhl

Die folgenden Aussagen beruhen auf einem Erfahrungsbericht von Herrn Dr. Gerhard Hamm. Dieser Vortrag wurde auf einer Lehrerweiterbildung aufgezeichnet, fragmentartig konnte mir dieses Exerpt zur Verfügung gestellt werden.

Seit September 1981 baute Herr Dr.Hamm in Zusammenarbeit mit dem VEB Robotron-Elektronik Zella-Mehlis an der genannten Schule ein "Mathematisch-rechentechnisches Kabinett" auf. Man begann mit einem Rechner vom Typ "Robotron K 1003". Die Technische Hochschule Ilmenau stellte ab dem Schuljahr 1982/1983 zwei programmierbare Taschenrechner vom Typ "BS 21" bereit.

Bereits 1981 wurde fakultativer Unterricht für die Klassenstufen 11 und 12 durchgeführt, eine zusätzliche Arbeitsgemeinschaft hatte regen Zuspruch. Ab September 1982 öffnete sich diese Arbeitsgemeinschaft auch für Schüler ab der Klassenstufe 8 des gesamten Kreises.

Im fakultativen Unterricht wurden die theoretischen Grundlagen betont. In den Arbeitsgemeinschaften überwog die praktische Tätigkeit am Rechner, die Freizeitbeschäftigung wurde so wirkungsvoll aktiviert.

Der Unterrichtsplan für den 50 Unterrichtsstunden umfassenden Lehrgang "Elektronische Datenverarbeitung [EDV] und Kleinstrechner" wird aus dem folgenden Bild deutlich:
 
 

Die parallele Behandlung von mathematischen- und technischen Grundlagen ist hervorzuheben. Theoretisch erlerntes Wissen konnte sofort in der Praxis angewendet werden. Dieser Umstand wirkte sich motivierend auf die Schüler aus. Hemmnisse gegenüber der "neuen Technik" wurden so fast abgebaut. Fasziniert war man von der Leistungsfähigkeit des Rechners.

Die erreichte Interessenstabilität war die Voraussetzung für eigenes kreatives Handeln. Nach dem Vermitteln der Grundlagen wurden erste Programme gemeinsam erstellt. Um 20 Stunden arbeitete man nach dieser Art, dann wurden kleine Aufgaben selbst gelöst. Der Wunsch nach komplexeren Programmen entstand. So entwickelten zwei Schüler in einer Woche selbständig das Programm zu dem Spiel "Hase und Jäger". Einzelne Teams wagten sich auch an technische Problemstellungen, die dem Lehrgangsziel entsprechend nicht ausgebaut werden konnten. 

Bei diesem Lehrgang konnten deutlich Entwicklungsetappen der Schüler beobachtet werden (Die Bezeichnung der gekennzeichneten Etappen stammen von Herrn Dr.Hamm):

  1. "Rechner als Wunderding"

  2. Der Computer war ein neues Medium, erste Operationen lösten  Erstaunen aus.
     
  3. "Mehr Verständnis für den Rechner und seine Wirkungsweise"

  4. Durch den Umgang mit dem Gerät wuchs Verständnis verbunden mit dem Wunsch nach besserer Handhabung.
     
  5. "Grenzen des Rechners erforschen"

  6. Hier wurde versucht, die Grenzen der Programme zu erkennen, Fehler nachzuweisen und Architekturprobleme zu finden. Diese Phase wurde als besonders kreativ hervorgehoben.
     
  7. "Stimulation zur Beschäftigung mit mathematischen Problemen"

  8. Durch die Arbeit am Computer wurde das Interesse geweckt, sich näher mit mathematischen Problemen zu beschäftigen. Die Verknüpfung von Theorie und Praxis wurde so deutlich.
Am Beginn der Aktivitäten wurde der programmierbare Taschenrechner BS 21 eingesetzt. Dieser Rechner hat eine sehr begrenzte Speicherkapazität, die notwendigen kompakten Programme konnten bei den fehlenden Programmierkenntnissen nur schwer erstellt werden. Bei dem zeitgleichen Einsatz des K 1003 erkannten die Schüler die Leistungsfähigkeit, so daß der Rechner K 1003 bevorzugt wurde. Besonders Schüler der 8. und 9. Klasse betonten den Nachteil, daß die Ergebnisse beim BS 21 nur auf dem Display sichtbar wurden. 
     

"Haus der Jungen Pioniere" Berlin Hohenschönhausen

Bereits 1982 wurde von den Verantwortlichen des Hauses der Entschluß gefaßt, die Informatik zu fördern. Der wirtschaftlichen Gesamtsituation entsprechend fehlte zunächst die technische Basis. Die fehlende Erfahrung der Mitarbeiter muß als Problem genannt werden.

Ein erster Mikrorechner vom Typ "Polycomputer 880" wurde intensiv genutzt, so sammelte man erste Erfahrungen. Im Frühjahr 1983 wurde mit dem Bau eines eigenen Computers begonnen. 1986 konnten zwei weitere Computer beschafft werden. Das Computerkabinett des Hauses  hatte 1987 einen Bestand von acht Z 1013, einem Z 9001 und sieben programmierbaren Taschenrechnern aus sowjetischer Produktion. Mit dieser Ausstattung begann man, planmäßig Lehrgänge durchzuführen und Arbeitsgemeinschaften gründeten sich.

Das Aufgabenfeld war weit gefächert und beinhaltete:

  • Informatik-Lehrgänge

  • (BASIC, Assembler, FORTH, PASCAL, dBASE),
     
  • Arbeitsgemeinschaften

  • (BASIC-Programmierung, Assembler-Programmierung),
     
  • Thematische Einzelveranstaltungen

  • (Was ist Hochtechnologie ? Was kann ein Computer ? Von der Sanduhr zur Atomuhr !)
     
  • Ferienaktivitäten

  • (Programmierlehrgänge, Informatik-Spezialistenlager).
Diese Veranstaltungen wurden nicht nur für Schüler durchgeführt, auch Weiterbildungen der Lehrer fanden im "Haus der Jungen Pioniere" statt.

Ein Computerzirkel in Schwedt/Oder

Schwedt ist mit Betrieben der Petrolchemie und der Papierherstellung ein bedeutender Industriestandort. Unterstützt von der Industrie entstanden 1984/1985 zwei Computerkabinette für Schüler und Auszubildende, die im DDR-Maßstab großzügig eingerichtet waren.

Diese Kabinette hatten folgende Aufgaben:

  • Durchführen des Informatikunterrichtes der Lehrlinge (Auszubildenden).
  • Unterstützen der Informatikausbildung für Schüler, besonders in dem Unterrichtsfach Einführung in die sozialistische Produktion [ESP].
  • Qualifizierung der Werktätigen auf dem Gebiet der Informatik. Ständige Lehrgänge wurden in diesen Kabinetten organisiert, die vom damaligen Staatssekretariat für Berufsbildung unterstützt wurden.
  • Arbeitsgemeinschaften von gesellschaftlichen Institutionen wurden in diesen Kabinetten durchgeführt.
  • Fachtagungen und Weiterbildungsveranstaltungen wurden organisiert, diese bis zu internationalem Erfahrungsaustausch.
Als Schüler hatte ich zunächst die Gelegenheit, von 1986 bis 1989 in einem Computerzirkel im Kabinett des VEB Papier- und Kartonwerke Schwedt mitzuarbeiten. Jeden Sonnabend stand uns das Kabinett mit 20 KC 85/3 bzw. KC 85/4 von 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr zur Verfügung. Wir wurden speziell in die Bedienung eingewiesen, erhielten ansonsten nur Anregungen und wurden in unseren Arbeitszielen wenig beeinflußt.

In diesem Zirkel arbeiteten Schüler, Lehrlinge (Auszubildende), Abiturienten und junge Facharbeiter. Durch diese scheinbar inhomogene Zusammensetzung wurde die Aktivität angeregt. Das gegenseitige Lernen und eine kooperative Zusammenarbeit wurden dabei gefördert. 

Inzwischen sind aus den damaligen Zirkelteilnehmern Persönlichkeiten hervorgegangen, die sich erfolgreich bewähren. Geblieben ist eine vom Computer stimulierte Kameradschaft, die zum großen Teil persönliche Freundschaft wurde.

Beispiele der in der Regel in BASIC geschriebenen Programme:

  • Unser Sonnensystem,
  • Tabellen und Formeln für den Unterricht, einschließlich Lösungsalgorithmen für quadratische Gleichungen, Gleichungssysteme,
  • Lichtstrahlenverlauf an Konvexlinsen,
  • Aufbau und Funktion vom Dieselmotor, 
  • Steuerung des Füllstandes einer Stoffbütte [Papierindustrie],
  • ...
Nach meiner Schulzeit lernte ich dann von 1989 bis 1992 im VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt den Beruf des Elektromonteurs. In diesem Betrieb gab es ein ähnlich strukturiertes Computerkabinett.

Computermeisterschaften in der DDR

Nach 1980 hatten sich in der DDR recht flächendeckend Computerzentren gebildet. Betont werden soll, daß oft leistungsfähige Betriebe Computerkabinette gesponsort haben. In der DDR war vieles zentralistisch orientiert, so versuchte der Staat über die Organisationen Gesellschaft für Sport und Technik [GST], der Freien Deutschen Jugend [FDJ] und allen Instanzen des Ministeriums für Volksbildung das entstandene Computerinteresse in gewünschte Bahnen zu lenken.

Unterstützt wurde die

  • Vermittlung von Überblickswissen bezüglich des Aufbaus und der Arbeitsweisen von Computern, 
  •  Einsatz vorhandener Software,
  •  Erlernen von Programmiersprachen, hauptsächlich BASIC,
  •  Erarbeitung von Programmen und
  •  Teilnahme an Wettkämpfen und Leistungsvergleichen.
Besonders bei den Amateurfunkern, die in der GST organisiert waren, wurde der Computer ein beliebtes Arbeitsmittel. Die zentrale Aufgabe der GST war aber der Wehrsport, so entstand im Umfeld  dieser Organisation der Begriff "Computersport". Im Computersport wurden viele Meisterschaften organisiert, die eine beachtliche Popularität erreichten.

Beispiele für Leistungsvergleiche sollen genannt werden.

1987 wurde in Berlin anläßlich der Dresdner Tage die erste Programmierolympiade der DDR veranstaltet. Verantwortlich war das Informatikzentrum der Technischen Universität Dresden, der Kulturpalast Dresden und das Kombinat Robotron. Im Programmierwettkampf ging es darum, für eine Datenbasis eine Organisationsform für den Hauptspeicher zu finden, Zugriffsalgorithmen zu entwickeln und diese in BASIC zu implementieren. Während der Wettkampftage wurden Gesprächsrunden mit Wissenschaftlern organisiert. Sehr wichtig bei allen Veranstaltungen dieser Art war stets der persönliche Erfahrungsaustausch zwischen den Computerfreunden.

Bei der I. Bezirksmeisterschaft im Computersport in Frankfurt/Oder zu Beginn des Jahres 1989 hatten die Teilnehmer die Wahl zwischen drei Bereichen:

  1.  Programmierung einer Weltzeituhr mit Einbeziehung der Grafikfähigkeit des Computers,
  2.  Fehlersuche in einem BASIC-Programm,
  3.  Programmierung einer Grafik zum Thema Computersport. 
Auch hier konnte über ein besonnenes und überlegtes Handeln der Teilnehmer berichtet werden.

Im Oktober 1989 fand die zweite Programmiermeisterschaft der GST in Blankenburg/Harz statt. Aufgabe war es, ein Programm zur Wettkampfauswertung für drei Disziplinen und 99 Starter zu erstellen. Bewertungsschwerpunkte waren die Realisierung der geforderten Funktionen, die Form und Gestaltung der Dialogführung und die Sicherheit des Programms gegenüber Fehleingaben und Fehlbedienungen wurde ebenfalls gewertet. Keine Vorgaben gab es zu den eingesetzten Computertypen, so nutzte man den KC 85/3, den 85/4, C 64, C 128 und Ataris 130 XE.


Fachtagungen

Die eben genannten Wettkampftage wurden immer zum regen Austausch von Erfahrungen, Ideen und Programmen genutzt. Aus dieser Spontanität entstand der Wunsch nach Fachtagungen, von denen einige hier repräsentativ genannt werden. 

Vom 26. bis 27. Oktober fand die 5.Tagung des Computerclubs Frankfurt/Oder statt. 450 Anwender teilten ihre Erfahrungen. Der erste Tag gehörte den 8-Bit-Rechnern und dem alternativen Betriebssystem CP/M für den KC 85/3. Schwerpunkt dieser Veranstaltung war die Vorstellung des KC 85/4. 

Vorträge gab es zu den verschiedensten Themen wie z.B. zu Datenbanksystemen, zu FORTH, PASCAL und Ausblicke auf neue alternative Datenspeicherverfahren.

Die Z 1013 Tagungen stellten häufig für viele Freunde dieses Rechners ein Höhepunkt dar. Am 19. Mai 1989 fand in Leipzig die 2. Tagung unter Leitung des GST-Computerclubs "Robotron" statt. 352 Teilnehmer aus verschiedenen Computerclubs fanden sich zusammen. Das Vortragsprogramm umfaßte 17 Themen, darunter "RAM-Floppy" oder "Schreibmaschine  S3004 als E/A-Gerät".

Die Teilnehmer erhielten umfangreiches Informationsmaterial, so z.B. Schaltbilder, Platinenlayouts, ... . Verkaufsstände boten Leiterplatten, Bauelemente, ... an.  Eine Softwarebörse war ein Höhepunkt der Veranstaltung.