Der Einsatz der Taschenrechner


Im Oktober 1978 fand in Berlin der VIII. Pädagogische Kongreß statt, auf dem im Referat des Ministers für Volksbildung, Margot Honecker, die Frage aufgeworfen wurde, welche Rolle Taschenrechnern in der Schule zukommt. Gefordert wurde zu prüfen, 'ab welcher Klassenstufe, zu welchen Stoffgebieten und mit welchem Ziel sich die Nutzung dieser Rechner als sinnvoll erweist oder wo ihr Einsatz nicht richtig ist' [Hon78].

Daraufhin wurde von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR eine Arbeitsgruppe gebildet, die durch theoretische und praktische Untersuchungen Voraussetzungen für Entscheidungen bezüglich des Einsatzes von Taschenrechnern schaffen sollte. Unter Leitung dieser Arbeitsgruppe wurde in den Jahren 1979 - 1983 ein Schulversuch durchgeführt. An diesem Versuch waren 21 Klassen beteiligt, die mit Taschenrechnern der Typen MR 610 und MR 609 ausgestattet worden waren.

Erste Ergebnisse waren alsbald sichtbar. Die Versuchsklassen benötigten im Vergleich zu den Kontrollklassen ohne Taschenrechner wesentlich weniger Zeit für die Berechnung von nicht im Kopf ausführbaren Rechnungen. Der zweite und wichtigste Aspekt war die geringere Fehleranfälligkeit der Rechnungen. Die Erfahrungen bewogen dazu, eine intensivere Stoffbehandlung nicht nur in Mathematik, sondern auch in den Fächern Einführung in die sozialistische Produktion [ESP], Physik und Chemie zu vollziehen.

Auf Grundlage sehr positiver Ergebnisse der durchgeführten Versuche, wurde zum Schuljahr 1984/85 in der Abiturstufe und zum Schuljahr 1985/86 ab Klasse 7 der Taschenrechner eingeführt. Als Schultaschenrechner wurde der"SR 1" eingesetzt, der bis auf den Namen und den Preis baugleich zum MR 609 war, welcher bei den Tests eingesetzt wurde.

Einsatzgründe

  • Zeitersparnis

  • Schüler mit Taschenrechner benötigten, wie schon erwähnt, weniger Zeit zur Lösung ihrer Aufgaben als die Vergleichspersonen mit 
    Rechenstab. Dieser Aspekt wurde um so deutlicher, je komplizierter die Rechnungen wurden. 

    Als Beispiel wurde eine Berechnung mit dem Kosinussatz nach der Gleichung c = sqrt(a2 + b2 - 2ab * cos y) genannt. Mit Hilfe des SR1 waren ca. 2 Minuten zur Lösung notwendig, bei der Benutzung von Tabellen und Rechenstab 12 Minuten.

    Diese Zeitersparnisse konnten dazu genutzt werden, um zum Beispiel komplexere Begriffe und Zusammenhänge einzuführen und zu 
    erklären, die Suche nach alternativen Lösungswegen zu verstärken oder aber auch nur um eine genauere Kontrolle zu ermöglichen.
     

  • Damit entstehen günstigere Bedingungen für eine vertiefte mathematische Bildung der Schüler.
  • Rechnen mit dem Taschenrechner ist immer noch eine komplexe Qualität (natürlich nicht bezogen auf 1+1 ...).
    Rechnen ist nicht ausschließlich ein Aspekt trivialer Operationen. Vielmehr sind komplexe Fertigkeiten wie Größenvorstellungsvermögen, Analysefähigkeiten, das Auswählen rationeller Lösungswege und das Nutzen von Rechenvorteilen nötig.

    Von daher sind die althergebrachten und oft aufgeführten Vorurteile, daß die Schüler das Rechnen verlernen, daß eine große 
    Rechnerabhängigkeit sich ausbildet und daß eine Rechnergläubigkeit auftritt unter einem ganz anderen Gesichtspunkt zu sehen und von 
    somit alleinstehend nicht mehr gültig.

    Der Taschenrechner ist also ein Hilfsmittel, welches Freiräume für mehr Kreativität, Komplexität und neue Einsichten in funktionale 
    Zusammenhänge schaffen soll - dies wurde so aus den Versuchen herausgestellt.
     

  • Heranführen an informationsverarbeitende Technik 

  • Der Taschenrechner ist der Einstieg in die informationsverarbeitende Technik. Durch den frühzeitigen Umgang mit solchen Geräten wird das Entstehen großer Hemmschwellen verhindert. Die Schüler werden an Denk- und Arbeitsweisen herangeführt, die für den Umgang mit informationsverarbeitenden Einrichtungen von großer Bedeutung sind, z.B. das Zerlegen eines Rechenvorgangs in elementare Einzelschritte; die Festlegung der geeigneten Reihenfolge der Schritte; Überlegungen bezüglich möglicher und notwendiger Genauigkeit von Ergebnissen. Dazu gesellt sich die Schulung des Konzentrationsvermögens und die Gewöhnung an Exaktheit beim Arbeiten.

Heranführen der Schüler

Zu Beginn sollten die Schüler nicht mit allen Funktionen des Taschenrechners konfrontiert werden. So wurden zunächst die vier Grundrechenarten mit gebrochenen Zahlen in Dezimalbruchdarstellung erlernt. Gleichfalls wurden sie befähigt, Terme mit mehreren gleichen bzw. verschiedene Operationen auszuführen. Sie erlernten dabei die Funktionen der Tasten "+", "x", "/", "-", "=" und "CE-C" des SR1. 

Die Mathematiklehrbücher waren voll auf den SR 1 abgestimmt. Beispielaufgaben wurden mit der Symbolik des Taschenrechners abgebildet, so daß man auch als Ungeübter sofort mit dem Rechner arbeiten konnte. Es fiel aber häufig schwer, sich nur auf die gerade behandelten  Funktionen zu beschränken - zu groß war die Verlockung, weitere Funktionen auszuprobieren und damit selbst die Fähigkeiten des Taschenrechners zu erforschen. Im weiteren Mathematikunterricht der Klasse 7 wurde noch die Prozentrechnung, die Vorzeichenwechseltaste im Stoffgebiet "Rationale Zahlen", die Funktionstasten x2 und sqrt(x) im Gebiet "Quadratzahl und Quadratwurzel" und im Stoffabschnitt "Kreisberechnungen" die Taste "PI" behandelt.

Die Benutzung des Speichers bereitete im Versuch einige Probleme, die darin bestanden, sich zu merken, welche Operationen schon ausgeführt  wurden, welche Zahl schon gespeichert wurde und wann man das gespeicherte Ergebnis in die Rechnung erneut einbeziehen muß. Nach einiger  Zeit im Umgang mit den Speicherfunktionen, wurden die Schüler zunehmend sicherer - der Weg dahin erfolgte oft über Programmablaufpläne.
 

Klasse
eingeführte Tasten
7
 +, x, -, /, %, +/-, x2, Wurzel, PI, =, CE-C, Konstantenautomatik, Vorrangautomatik
8
 1/x, MR, X->M, M+, yx
9/10
 yx, EEX, lg, sin, cos, tan, F
11/12
 ln
Übersicht der gelernten Funktionen in den entsprechenden Klassenstufen
 

Konsequenzen

Über die Konsequenzen des verstärkten Einsatzes elektronischer Hilfsmittel galt es damals, sich Klarheit zu  verschaffen. Folgende Fragen bzw. Schwerpunkte standen dabei im Mittelpunkt:
 
  1. Welche Bedeutung hat das Kopfrechnen in der Zukunft ?

  2. Das Kopfrechnen wurde auch weiterhin als ein Schwerpunktgebiet betrachtet. Durch das Kopfrechnen sollen einfache Aufgaben gelöst werden. Der wichtigste Aspekt ist das Überschlagsrechnen, um die Ergebnisse des Rechners im Überschlag überprüfen zu können.
  1. Wie weit muß das schriftliche Rechnen gefördert werden ?

  2. Dem schriftlichen Rechnen wurde eine nachlassende Bedeutung beigemessen.
     
  3. Die Rolle anderer Rechenhilfsmittel neben dem Taschenrechner.

  4. Der Rechenstab als Rechenmittel hat ausgedient, den Nachschlagewerken wie Tabellen und Tafelwerken wurde jedoch eine wichtige ergänzende Funktion zugedacht.
  1. Bereits vor der Verwendung des Taschenrechners sollten den Schülern Begriffe wie Näherungswert und das Rechnen mit solchen näher gebracht werden. Diese Forderung wurde in den entsprechenden neuen Mathematiklehrbücher der 6. Klasse erfüllt.