I&G

Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Informatik
Informatik in Bildung und Gesellschaft

Diskurs

Das Wort Diskurs bezeichnet Äusserungszusammenhänge, die sich um ein bestimmtes Thema gruppieren. So spricht man vom ökologischen Diskurs, vom Diskurs um den Irak-Krieg oder vom Diskurs der Globalisierung.

Die Ursprünge des Diskursbegriffs werden je nach Disziplin unterschiedlich veranschlagt, die wissenschaftliche Literatur prägt er seit den 60er Jahren. Vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist er inzwischen derart gängig, dass diesen Wissenschaften ein diskursiver turn nachgesagt wird. Dennoch, oder gerade deswegen, finden sich neben der Unklarheit über die Wurzeln auch sehr heterogene Begriffsbestimmungen: Die Linguistik sieht Diskurse als logische Fortsetzung eines strukturalistischen Atomismus, von Phonemen über Morpheme zu Wörtern, Sätzen und darüber zu Diskursen. Diskurse werden somit vor allem in ihrem aktuellen Vollzug betrachtet und z.B. die Frage diskutiert, welche Diskursmarker (Partikel, Interjektionen, Ausrufe etc.) zu ihrer Strukturierung eingesetzt werden.
Die deutsche Philosophie unter dem Einfluss von J. Habermas interpretiert Diskurse vornehmlich als Prozesse des Aushandelns der Wahrheit oder Richtigkeit von Aussagen, mithin als auf einen bestimmten Zweck hin ausgerichtet.

Interessanter für unsere Zwecke ist ein Blick nach Frankreich, wo Diskurse weniger auf die Zwecke als auf ihre Produktionsbedingungen hin befragt werden. M. Foucault hat in detaillierten historischen Analysen diese Bedingungen – die Ordnungen von Diskursen – untersucht und mit dieser neuen Perspektive auf die abendländische Geistesgeschichte einen fruchtbaren Forschungszweig eröffnet: Die Frage nach den Wechselwirkungen von Diskursen und Macht.

Eine solche Diskursanalyse fragt nicht nach dem Wahrheitsgehalt einer Äusserungen, wie man es vielleicht aus einem romantisierenden Wissenschaftsverständnis heraus – Wissenschaft als Suche nach Wahrheit – erwarten könnte. Sie fragt auch nicht nach ihrer technischen Umsetzbarkeit, eine Fragestellung, die vor allem das diskursive Verhalten von Ingenieuren (und dazu zähle ich auch die technisch orientierte Informatik) prägt.

Die Analyse von Machtdiskursen fragt zunächst danach, welche kurz- und langfristigen Ziele mit bestimmten Äusserungen verfolgt werden. Reine Betrachtungen der Inhalt sind dabei nicht zielführend, weil sie die in Diskursen durchscheinenden Interessen nicht berücksichtigen.

R. Keller vom Arbeitskreis Diskursanalyse der Universität Augsburg fasst die Fragestellung einer derart kontextualisierten Diskursanalyse zusammen: [[http://www.lrz-muenchen.de/~Diskursanalyse/keller]]

* Wie sind spezifische Diskurse entstanden?

* Wie verändern sie sich im Laufe der Zeit?

* Welche Gegenstandsbereiche werden dadurch konstituiert?

* An welche Publika sind sie adressiert?

* Welche manfisten und/oder latenten Inhalte (kognitive Wahrnehmungsschemata, moralische und ästhetische Bewertungen) werden dadurch transportiert?

* Welche sprachlich-rhetorischen Mittel werden eingesetzt?

* Welche materialen Praktiken kommen zum Einsatz?

* Wer besetzt die Sprecherpositionen (wer ist Träger, Akteur), wer andere Handlungspositionen?

* Wie läßt sich ihr Verhältnis zu anderen (konkurrierenden) Diskursen bestimmen?

* Welche Folgen (Entscheidungsbezug, Erzeugung neuer Handlungsmuster...) haben sie?

Diese Liste ist sicherlich nicht vollständig. Die Rolle der Diskursproduzenten wird m.E. nicht ausreichend beleuchtet, so dass ich ergänzend hinzufüge:

* Welche Interessen verfolgen die Produzenten mit bestimmten Äusserungen?

* Welchen Einfluss haben einzelne Interessengruppen auf die Produktion?

* Wie lässt sich das Verhältnis zu anderen Interessengruppen bestimmen?

Für die Betrachtung der Informatiosgesellschaft sind die Diskurse ausschlaggebend, in denen I&K-Technologien eine zentrale Rolle spielen. Hier gilt es, zu den Diskursen ihre Produktionsbedingungen zu bestimmen, die Akteure, ihre Interessen, ihre Praktiken etc. So ist es zwar möglich, den Vorwurf der Firma Microsoft, Open Source sei tendenziell unsicher und damit ein Sicherheitsrisiko für den Einsatz im öffentlichen Dienst, mit Gutachten überprüfen oder widerlegen zu wollen. Verständlicher wird diese Äusserung vor den spezifischen Interessen von Microsoft, der Produktpalette und der Marktposition. Hierfür ist aber eine ganz andere Art von Wissen erforderlich als das um Betriebssystemversionen und Fehler in Programmbibliotheken.

Die Diskursanalyse, wie sie hier vorgestellt wurde, kann nur vor einem historischen, kulturellen, politischen, ökonomischen, juristischen, sozialen etc. aber natürlich auch einem technischen Hintergrund erfolgen. Diese Anforderung mit dem einhergehenden riesigen Quellenkorpus macht die Arbeit so unübersichtlich. Aber eben auch so spannend.

Letzte Änderung: 17.04.2003