Volker Grassmuck & Christian Unverzagt * Das Müll-System * edition suhrkamp * Frankfurt/M. 1991 * ISBN 3-518-11652-5
 
Aufstieg und Fall des Joschka F.
Eine Müllographie in 3 Akten
 

Prolog: Schönberg, Münchhagen, Herfa-Neurode, Gorleben - das sind die Namen, die in die Geschichte eingehen werden wie zuvor Waterloo, Austerlitz und Wounded Knee. Nur daß hier keine Schlachten gegen Heere, Flotten oder Indianer geführt wurden, sondern ein Kampf gegen die Ausscheidungen der Zivilisation. Nicht gegen Barbarenhorden, also das Andere, das von außen kommt, sondern gegen die gänzlich unerwarteten Nebeneffekte des Produktions- und Konsumtionsprozesses, die seine Grundlagen von innen zu vergiften drohen.

Wir haben den Bereich des Recycling verlassen. Aus dem Müll ist alles herausgeklaubt, was irgendwie verwertbar ist. Der Rest ist abgeflammt und verdichtet. Was bleibt, ist recyclingresistent und hochgiftig: Filterstaub, Schlacke, Klärschlämme, Dioxin, PCB, Schwermetalle ... Diese Abfälle werden nicht recyclet, sondern »entsorgt«. Dieses Wort sagt zweierlei. Daß sie uns Sorgen bereiten und daß wir uns dieser Sorgen entledigen wollen. Dafür gibt es Profis, die unsere Sorgen ins Meer kippen, unter die Erde oder in Lager bringen. Die Abfallklassen zwei und drei. - Der sonderbare Müll bildet einen fruchtbaren Nährboden für eine Vielzahl neuer Firmen - den Endlagermarkt.

Krisis: Joschka F. übernimmt am 12. 12. 1985 ein Ministeramt, einen Sondermüll-Stau und eine alte Gewohnheit, den anfallenden Müll zu exportieren. Nach Frankreich und in die DDR. Der erste Länder-Minister der Partei, die den Müll auf ihre Fahnen geschrieben hat, tritt an mit der Aufgabe - Zitat Fischer: »daß wir aus den beschissenen Alternativen die am wenigsten beschissene herausfinden müssen«.

1. Akt, Die Hölle: In Hessen fallen jährlich 135 ooo t Sondermüll an. Aber die vorhandenen Deponien sind überfüllt. Neue Deponien brauchen eine Planungs- und Genehmigungszeit von wenigstens 1o Jahren oder werden ganz gekippt wie Mainhaus und Messel. In Messel hatte der Zweckverband Abfallverwertung Süd bereits angefangen, eine 50 Millionen Jahre alte und mit Fossilien angefüllte Senke in eine Mülldeponie zu verwandeln. Die Transporte in die DDR-Deponie Schönberg, die das Grundwasser von Lübeck verseucht, werden im Nov. 85 gerichtlich gestoppt. Auch die französischen Gerichte untersagen die Fortführung des Exports in das lothringische Städtchen Montois. In Hessen wird der Müll-Notstand ausgerufen.

2. Akt, Purgatorium: Während Fischer in der Regel von »ziemlich furchtbaren Sachzwängen« spricht, wagte er in Borken einen großen Wurf. Hier soll auf einer riesigen »Industriebrache« ein interdisziplinäres Forschungszentrum für industrielle Abfallwirtschaft entstehen. Angegliedert an die Gesamthochschule Kassel soll dem Müll hier systematisch zu Leibe gerückt werden. Zum Forschungszentrum gehört das Fegefeuer einer Hochtemperatur-Sondermüllverbrennungsanlage und - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - ein »Pilotprojekt Hochsicherheitsdeponie«. Was die Rechte für die gefährliche Kategorie des ausgesonderten Menschenmülls entwickelt hat, lassen die Grünen dem materialen Sondermüll angedeihen - Hochsicherheit. Fischer zu seinem »Jahrhundertprojekt«: »Dann wird in Hessen ein neues Abfall-Zeitalter anbrechen.«

3. Akt, Ausfahrt und Wiederkehr: Der erste Versuch, neue Länder für den Müllexport zu erschließen, fällt noch in die Ära Fischer. Im November 1986 fliegt auf, daß er 1o ooo t dioxinhaltigen Filterstaub in Österreich »entsorgen« wollte. Um das zu ermöglichen, wurde der Müll vorsätzlich falsch deklariert. Von einem Skandal zum nächsten wird deutlich, daß Fischer eine ganz übliche Taktik benutzt hat. Es gibt einen regen Müllverkehr in Europa. Atommüll aus der Bundesrepublik nach Belgien, Giftmüll aus Frankreich in die Bundesrepublik und andersrum und von überall in die DDR.

Die nächste Exportstufe, die verniedlichend »Müll-Tourismus« genannt wird, blieb Fischer erspart. Sie gehört in den

Epilog: An des grünen Ministers Österreich-Abenteuer zeigt sich eine frühkindliche Fort-Da-Beziehung zum Müll. Im hessischen Kleinen wie im Großen der westlichen Industriestaaten befindet sich der Müll auf einer zentrifugalen Bahn. Den ersten Ring um das Zentrum nach der DDR bildet das Meer. Den zweiten die Dritte Welt. Italien hat sich zur Drehscheibe des Giftmüllexports aus ganz Europa entwickelt. Die Zielländer sind Nigeria, Libanon, Tunesien, Kongo, Guinea-Bissau usw. usw. Niemand weiß wo überall wieviel Müll welcher Art schon entsorgt worden ist. Aber wie ein Jojo kommt der Müll zurück. Aus Österreich und seit 1988 auch aus den ehemaligen Kolonialländern.