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Der elektronische Salon
oder
Die Geburt des Tele-Sozialen aus dem Geist des Computer-Games

Volker Grassmuck 11/93

vorgetragen bei "Künstliche Spiele", Medienlabor München, 13.10.93


Der Spielraum
Erste Funktion: Darstellen
Zweite Funktion: Berechnen
Dritte Funktion: Speichern
Vierte Funktion: Übertragen
Software
Computer als Spielpartner
Die Matrix/Habitat
Das Tele-Soziale
Literatur

 

Spiele gibt es seit Menschengedenk. Elektronische Games gibt es seit erst zwanzig und vernetzte elektronische Games seit zehn Jahren. Arbeit, Kunst, Spiel - sie alle unterliegen einer zunehmenden Mediatisierung. Damit gehen tiefgreifende Veränderungen der Apperzeption einher, aber auch des in Spielen immer konstituierten sozialen Verhältnisses zwischen den Spielern.

Games gehen aus einer technischen Kopplung von Computer und Fernsehen hervor. Sie erlauben zum ersten Mal, in den medialen Raum des Fernsehens hineinzugreifen, sich in den Monitor unmittelbar einzuschreiben und lösen damit den von Benjamin und Warhol ausgesprochenen Anspruch aufs Reproduziertwerden ein. Doch anders als im Massenkino, mit dem jener, und im Massenfernsehen, mit dem dieser konfrontiert war, erlaubt das Spiel im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit eine individuelle Stellungnahme. In der medialen Spielgemeinschaft wird der Einzelne nicht mit der Masse, sondern mit anderen Einzelnen technisch verkoppelt. Jenseits der Masse kommen neue Gemeinschaften auf - Tele-Gemeinschaften.

Indem der Film, schreibt Benjamin, "auf der einen Seite die Einsicht in die Zwangsläufigkeiten vermehrt, von denen unser Dasein regiert wird, kommt er auf der anderen Seite dazu, eines ungeheuren und ungeahnten Spielraums uns zu versichern! ... der Film ... hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunde gesprengt, so daß wir nun zwischen weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen."(1)

Der Computer verkürzt das Intervall der Zerhackung auf einen Millionstelsekunden-Takt. In einer qualitativen Verschiebung wird der Spielraum erweitert, das Spielmaterial flüssiger und die möglichen Reisen noch abenteurlicher.

Spiele und Medien sind nicht aufeinander zu reduzieren, aber sie haben eine sehr ähnliche Struktur. Folgt man den klassischen Ausführungen Johan Huizingas, so ist das Spiel ein Heraustreten aus dem gewöhnlichen Leben in eine zeitliche Sphäre mit einer eigenen Bedeutungswelt. Primär gehorcht das Spiel wie das Medium internen Regeln, obgleich sie auf Gegenstände außerhalb verweisen können. Beide schaffen eine Ordnung, eine Anordnung, einen Stil. Daher bewegen sich beide auf dem Gebiet des Ästhetischen. Beiden eigen ist die Qualität des Als-Ob. Was geschieht ist nur ein Spiel. In dem 'nur' liegt ein Bewußtsein der eingeschränkten Gültigkeit gegenüber dem Wirklichen, der Ver-rückung aus dem Ernst. Zu den weiteren Elementen, die Spiel wie Medium gleichmaßen eigen sind, gehören Spannung, Bewegung, Zeremonie und Verführung. Darin wird das wichtigste Merkmal von Spielen und Medien deutlich: ihre Kulturfunktion.

Es ist also nicht verwunderlich, daß Spiele und Medien einander geneigt sind. Ein entscheidender Unterschied zwischen beiden liegt im Handeln. Spielen ist Handeln, während die Distributionsmedien uns zu universalen Zuschauern gemacht haben. Sie erlauben uns den globalen Blick, aber um den Preis der Beschränkung aufs Sehen. Auch der Zuschauer macht, laut Huizinga, Teil der Spielgemeinschaft aus. Doch die existentielle Erfahrung bleibt ihm verschlossen.

Games nun machen uns zu Spielern in der Sphäre der Medien. Im folgenden möchte ich einige Überlegungen anstellen zu den spezifischen Bedingungen, die technische Medien den Spiele setzen, und zu den Implikationen, die das für ihre kulturstiftende Funktion hat.

Zunächst ein grob gezeichneter Überblick über die Dynamik von medialen Games. Geschichtlich können wir eine Verschiebung der Mediendynamik von militärischer Nutzung über Business hin zur Unterhaltungselektronik beobachten. Heute wird die neueste Technologie eingeführt als Spiel. Medien wie CD-ROM, interaktives TV oder virtual reality mögen auch ernsthafte Anwendugen haben. Ihre Massenverbreitung erfolgt über die Games, die man mit ihnen spielen kann. Verfolgt man die Ankündigungen der Firmen, wird das kommende Jahr den Durchbruch für Multi-Media bringen, und zwar wiederum in der Form von Game-Maschinen.

Die Geschichte des Game-Marktes begann in den USA Anfang der 70er Jahre. Heim-Games verzeichneten einen kometenhaften Aufstieg, bis der Markt Mitte der 80er Jahre zusammenbrach. Die Dutzenden amerikanischen Game-Systemhersteller, darunter solche Schwergewichte wie RCA und National Semiconductor, sahen Heim-Games als eine vorübergegangene Spielzeugmode. Die japanische Firma Nintendo dagegen begriff, daß amerikanische Kinder nicht anders sind als japanische, und sah die Ursache des Shakeout nicht in den Games, sondern im Marketing. Die Einschätzung war offensichtlich richtig. Der Schwerpunkt verschob sich nach Japan. Heute stammen 90% der Game-Systeme weltweit von japanischen Firmen wie Nintendo und Sega.

Ein dritter Entwicklungsstrang bezieht sich auf das soziale Verhältnis der Spieler zueinander. TV als Einwegmedium erlaubt eine Rückkopplung vom Einzelnen bestenfalls über zusätzliche Punkt-zu-Punkt Medien wie Telefon oder Brief. Der Einzelne kann sich im Massenmedium nur als Masse ausdrücken, folglich als statistische Größe. In den 70er Jahren beispielsweise wurden die Zuschauer von Game-Shows aufgefordert, ihre Meinung dadurch kundzutun, daß sie möglichst viele Elektrogeräte in ihrem Haushalt einschalten. Der erhöhte Elektrizitätsverbrauch wurde dann von den Versorgungswerken an die Fernsehanstalt zurückgemeldet. Mit dem Übergang der Games aus dem Massenmedium hin zu individuellen Heim-Systemen isolieren sich die Spieler im closed circuit von TV, Konsole und Kontroller. Sie erlauben aktives Handeln, aber nur im monadischen Abschluß vom Allgemeinen. Heute öffnet sich dieser geschlossene Kreis. Die Games gehen in die Netze. Telepräsente Einzelne können in alle Richtungen miteinander kommunizieren und spielen. Damit läßt sich an den medialen Spielen erneut die kulturbildende Funktion beobachten, in der Huizinga ihre wichtigste Bedeutung sieht. Mit besonderen Bedingungen, die ich im folgenden mit dem Begriff des Tele-Sozialen benennen möchte.

Sehen wir uns die Aspekte im einzelnen an: nämlich den Spielraum, die Games und dann die Spieler.

Der Spielraum

Als ein Hauptmerkmal des Spiels nennt Huizinga seine räumliche Begrenzung. "Die Arena, der Spieltisch, der magische Zirkel, der Tempel, die Bühne, die Filmleinwand, das Tribunal - sie alle sind, nach Form und Funktion, Spielräume." (2) Es sind Mikrowelten innerhalb der gewöhnlichen, in denen eigene Regeln gelten.

Der Spielraum der Games ist ein technischer. Das Video-Game entsteht aus der Paarung von Computer und TV. Der TV bringt seinen audio-visuellen Zeichen-Raum in die Ehe ein. Seine Funktion ist die Darstellung. Die Funktionen des Computers sind Berechnung, Speicherung und Übertragung. Diese vier Funktionen will ich näher beschreiben, weil sie den Spielraum konstituieren.

Erste Funktion: Darstellen

Games werden auf einem Bildschirm gespielt. "Pong", das erste Arcade-Game, von Atari 1972 vorgestellt, bestand aus einem schwarz-weißen Motorola TV, von dem Gehäuse, Empfänger und Radiofrequenz-Schaltkreis entfernt worden waren.

Das TV wird vom Netz abgekoppelt, ist nicht mehr passiver Empfänger von Massenverteildaten, sondern wird mit einem Computer und einem Kontroller zu einem lokalen, geschlossenen Schaltkreis. Auch der Computer-Monitor hat die Empfängerfunktion in einem Funkverteilnetzes verloren, während bei Heim-Games diese Doppelfunktion erhalten bleibt.

Die wichtigste Innovation in der Darstellung seit der Braunschen Röhre war das Flüssigkristall-Display. Damit wurden Handhelds möglich. Die Games werden mobil. LCDs sind zuerst in Uhren und Taschenrechnern aufgetaucht, dann in Nintendos "Game & Watch"-Serie 1980, schließlich in Taschenspielen wie dem Game-Boy 1989.

Mit der Miniaturisierung werden Display-Brillen direkt vor den Augen möglich und damit das vollständige Eintauchen in das digitale Spielfeld.

In Zukunft wird die Funktion Darstellen vielleicht von einer direkten Innervation der Netzhaut übernommen werden. In ersten Experimenten ist es bereits gelungen, mit photoelektrischen Zellen im Augapfel von Blinden visuelle Muster zu erzeugen. Nach einer These Virilios wird der Behinderte zum Modell des technisch optimierbaren Menschen.

Zweite Funktion: Berechnen

Bereits auf den ersten transistorgestützten Großrechnern wurden in den 60er Jahren an Universitäten Games gespielt. Mitte der 70er Jahre wurden dann Mikroprozessoren billig genug für den Massenmarkt der Unterhaltungselektronik.

Der Mikroprozessor stellt nicht nur ein passives Spielfeld dar, sondern auch einen künstlichen Gegenspieler. Bereits die Tennis-Simulation "Pong" konnte man zu zweit gegeneinander oder gegen den Computer spielen.

Graphik-Darstellung wie Interaktion werden im folgenden immer komplexer. Schnellere CPUs, spezielle Bildverarbeitungs- und Numerikprozessoren und Megabyte-ROM-Chips erlauben mehrschichtige, farbige Hintergründe, die Tiefe simulieren, Stereo-Sound und verblüffende Interaktionen.

Mit dem Apple II begann 1977 die Verbreitung von Allzweck-Personal-Computern. Nutzer konnten nicht nur vorgefertigte Games laufen lassen, sondern selber programmieren - für jeden, der es einmal versucht hat die faszinierendste Art von Computerspiel.

Allerdings nicht für Jederman. Bastler, Hacker, Otakus wollen selber kreieren und Kontrolle bis ins Detail, der gewöhnliche Gamer jedoch will spielen. Dieser war mit Tastatur und anderem schwierigen Peripheriegerät nicht zu locken. Die Angst vor dem Computer bei uns und in Japan die aufgrund der chinesischen Schriftzeichen komplizierte Tastatureingabe führte dazu, daß die Freizeitmaschinen alle Ähnlichkeit mit der Büromaschine Computer vermeiden. In Japan gibt es heute in 57% aller Haushalte Video-Game-Maschinen, während nur in einem knappen Drittel PCs oder Textverarbeitungsmaschinen vorhanden sind.

Jeder Quantensprung in der Leistung von Personal-Computern setzt sich mit 2, 3 Jahren Verzögerung auch in den Video-Games um. Von den Prozessoren mit 8-bit Wortlänge über die heute üblichen 16-bit, bis zu den 32-bit Game-Maschinen, die im nächsten Jahr erscheinen werden. Die Kooperation von Nintendo und Silicon Graphics soll bis 1995 64-bit Power in die Wohn- und Kinderzimmer bringen. Die zusätzliche Leistung geht vor allem in die Graphik, wie bei PCs, bei denen die überwiegende Rechenkapazität von der graphischen Benutzeroberfläche geschluckt wird.

Auf dem Computermarkt sind Anzeichen von Sättigung erkennbar, die seit zwei Jahren auch in Japan heftige Preiskämpfe auslösen. Entsprechend heizt die Industrie gerade den Hype für den nächsten expansiven Markt an: Multi-Media, was uns zu CD-ROMs führt und damit zur Funktion Speichern.

Dritte Funktion: Speichern

Zunächst war die Software auf der Platine fest mit der Game-Konsole verbunden. 1976 führte Fairchild das erste System mit austauschbaren Cartridges ein. Die Platinen in den Cartridges bekamen zusätzlichen Speicher und Prozessoren, die einen Teil der Aufgaben der Konsole übernahmen.

Weitere Speichermedien sind Magnet-Cassetten und -Disketten, Laserdiscs, die Video-Echtbilder in die Spielhallen brachten, und die als Musikträger eingeführte Compact Disk. Die ersten CD-ROM-Game-System erschienen 1991. 1992 stellte Sony ein neues CD-Format für 2 Stunden Film vor.

Heute wächst der Spielraum zum Multi-Medium zusammen. Die Zusammenstellung möglicher Medienverbundsystem variiert. Immer im Paket dabei sind CD-ROM, TV, 32-bit Computer, und Anschlußmöglichkeiten ans Kabel- oder Telefonnetz. Drumherum sollen sich alle möglichen Peripherie-Geräte anschließen lassen: Bildtelefon, VR-Brillen, bei tragbaren Geräten ein Anschluß ans digitale Zellular-Telefonnetz usw.

Die Multi-Media-Systeme die auf Allzweck-Computern beruhen, z.B. Fujitsus FM Towns, haben sich bislang nicht verkauft. Auch die Soft- und Hardware-Erweiterungen für vorhandene PCs hatten einen schleppenden Start. Die nächste Welle, die wir ab Anfang 1994 sehen werden, nimmt ausbaubare Game-Systeme als Kernstück. Einer Marktstudie zufolge sind Games der größte Software-Sektor für Multi-Media. (3)

Die Technologie-Hybride bringen unwahrscheinliche Allianzen von Industriegrößen hervor. Apple und IBM haben sich zu Kaleida zusammengeschlossen, um einen MM-Standard zu setzen. Die hoch-seriöse IBM baut das Game-Gerät "Jaguar" für Atari. Sega will zusammen mit Shochiku, einer der größten japanischen Film-Vertriebsfirmen, Multi-Media-Software entwickeln. 3DO ist eine Koalition aus Matsushita, dem weltgrößten Konsumelektronikhersteller, Time Warner, dem weltgrößten Unterhaltungs-Software Hersteller, AT&T, dem weltgrößten Kommunikationsunternehmen und als Stifter einem der angesehensten Game-Softwarehäuser, Electronic Arts. Von 3DO kam im Oktober 1993 die erste 32-bit MM-Game-Maschine heraus. Zukünftige Zusätze für die 3DO-Maschine sollen die Kontrolle von TV und Kabelkanälen, Home-Shopping, das Editieren von Videos, und das Spielen von elektronischen Musikinstrumente möglich machen. Die Vision vom heimischen Cockpit für die Informationsgesellschaft wird realisiert als Spielzeug.

Vierte Funktion: Übertragen

Die Bandbreite von terrestrischer Ausstrahlung ist physikalisch zu begrenzt, um für Games nutzbar zu werden. Die Möglichkeit zur Distribution von Game-Software und zur spielerischen Interaktion über einen Rückkanal eröffnet sich erst mit Kabel- und Satelliten-TV.

Kabel-Netze in Japan nicht so weit verbreitet wie in den USA. 20% der Haushalte haben Kabel, gegenüber 60% in Amerika. In der ersten Allianz dieser Art testet Sega derzeit in den USA den Vertrieb von Games auf den Kabelnetzen von Tele-Communications Inc. (13 Mio. Abonnenten) und Time Warner (6 Mio Abonennten). Durch ein on-screen Menü wählt der Spieler ein Game aus. Das wird dann per Satellit aus einer Datenbank in das lokale Kabelnetz eingespeist und über einen Adapter in Segas Genesis/Megadrive geladen. Das Game steht im Speicher zur Verfügung, bis die Maschine ausgeschaltet wird. Mit dem gleichen Ziel hat sich Nintendo vor kurzem in die japanische Satelliten-Station St. Giga eingekauft.

TV ist und bleibt Einweg-Medium, auch wenn ein schmaler Rückkanal eröffnet wird. Wenn sich das Zauberwort 'Interaktivität' mit TV verbindet, ist immer nur eine größere Auswahl gemeint. Die Tiefe der Interaktion ist begrenzt durch die wenigen Tasten auf dem Telefon oder dem Game-Controller. Eine Konsumentscheidung läßt sich damit codieren, komplexe soziale Interaktion nicht. Über's Menü kann man pay-per-view Filme oder Games bestellen. Bei Sportveranstaltungen werden künftig die Signale sämtlicher Kameras im Stadion parallel zum Zuschauer gesandt, der damit in seinem eigenen Regieraum sitzt. Ein interaktives Fernseh-Drama oder eine Animation hält gelegentlich an und läßt den Zuschauer aus möglichen Alternativen für den Fortgang der Geschichte auswählen. Doch die Zahl der vorgefertigten Pfade ist naturgemäß beschränkt. Es geht um eine Selektion, nicht um Interaktion.

Was über die reine Wahlentscheidung hinausgeht ist wiederum durch die Strukur des Verteilmediums beschränkt. Bei einer Performance von VanGogh-TV auf Japans halbstaatlicher TV-Station NHK konnte man im Sender anrufen und der erste, der durchkam, konnte per Telephontastatur Computergrafik auf den Bildschirm zaubern. Bei Quizsendungen können alle mitraten. Aber das geht eben immer nur einer-für-alle oder alle in der Form der Statistik. Damit ist aber nicht einmal die Interaktivität möglich, die man vom lokalen closed ciruit Game gewohnt ist.

Interessanter wird es erst mit den Zwei-Weg-Kanälen von Telephon- oder digitalen Datennetzen. Nintendos Famicom enthielt von Anfang an eine externe Schnittstelle. Was David Sheff mit Bezug auf den Nintendo-Boss als "Yamauchis Troyanisches Pferd" bezeichnet, dient zum Anschluß von allerelei Peripheriegerät wie Mattels Power Glove. Das potentiell mächtigste Anschlußgerät jedoch ist ein Modem. 1987 lief das erste Experiment in Japan: ein landesweites Famicom-Golf-Turnier über öffentliche Telefonleitungen. Im folgenden Jahr startete das Famicom-Network, nicht wie man erwarten würde als Game-Netz, sondern in Zusammenarbeit mit Wertpapierhäusern und Banken.

Das Famicom-Netz hatte einen schwachen Start. Gründe waren technische Probleme, ein allgemein geringes Interesse an Homebanking in Japan, vor allem aber wohl Imageprobleme. Mit einem Spielzeugcomputer Börsentransaktionenen zu tätigen passte nicht ins Bild. Bislang haben nicht mehr als einige 10.000 Leute davon Gebrauch gemacht. 1991 waren 130.000 Kommunikations-Adapter verkauft, 15-20.000 wurden benutzt für Börsendienste, 14.000 für Banking und 3.000 den "Super Mario Club", der Nintendo-Händler vernetzt. Dennoch beharrt Nintendo-Chef Yamauchi auf seiner persönlichen Vision vom Netz. Der nächste Versuch von Nintendo wird 1996 anläßlich der Tokyo Frontier Expo gestartet werden. Fujitsu plant für 1994 ein VR-Netz namens "Green Space".

Sega of America hat im Juni 1993 eine Allianz mit AT&T angekündigt, um ab nächstes Jahr Telephon-Spiele und landesweite Wettkämpfe zu ermöglichen. Auch hier gibt es noch Probleme mit dem 'Lag', der Verzögerung der Signale im Netz, die sich störend auf schnelle Action-Games wie "Street Fighter" auswirken.

Für schnelle Action braucht's schnellere Netze. Für komplexere symbolische Interaktion mit Menschen statt mit Menüs braucht's die Differenziertheit mindestens der geschriebenen Sprache, und damit eine Tastatur.

Ich werde auf Netze zurückkommen, möchte aber vorher über Software und die, die sie spielen, sprechen.

Software

So interessant sie für das Verständnis des Spielraums sind, den Konsumenten interessieren bits, sprites und Millisekunden nicht. Der will Games. 'Super Mario' verkaufte den Famicom, 'Tetris' den Game Boy, 'Sonic' verkaufte Segas Genesis.

Die Game-Krise Mitte der 80er hing zusammen mit der Überflutung des Marktes mit hastig produzierter einfallsloser Software. Heim-Games in den USA erreicht 1983 einen Höhepunkt mit einem Marktumfang $ 3 Mrd und sackten bis 1985 auf $ 100 Mio ab.

Nintendos Schlußfolgerung war es, nur wenige Spiele pro Jahr auf den Markt zu bringen, in die aber bis zu einem Jahr Arbeit und 1 Mio $ investiert werden. Die Rechnung geht auf. Super Mario 3 hat allein in den USA $ 500 Mio eingebracht - ein Super-Hit für die gesamte Unterhaltungsindustrie. Nur der Film ET hat in dem Jahr mehr eingespielt.

Bislang kam aus Japan nur Medien-Hardware: Walkman, CD-Player, Laserdiscs. Karaoke ist ein Beispiel dafür, wie in japanischer Medien-Technologie jedem Land seine eigenen Lieder gebracht werden.

Über die Games nimmt Japan erstmals an der Prägung der Ikonologie der globalen Massenkultur Teil. Das erste japanische Game mit Welterfolg war "Space Invader" 1978 von Taito, gefolgt von "Pac-Man" 1979 von Namco. Der gefräßige gelbe Kreis versetzte die Welt in ein Pac-Man-Fieber, tauchte auf den Titelblättern von Nachrichtenmagazinen, im Fernsehen und in den Hitparaden auf. Schließlich verdrängte ein japanischer Klempner Mickey Mouse. Mehr amerikanische Kinder kannten 1990 Super Mario als Disneys Maus.

Das heißt nicht, daß in den Ikons japanische Werte oder eine japanische Weltsicht transportiert würden. Zwar gibt es Games mit einer spezifisch japanischen Sentimentalität, die ihren theatralischen Ausdruck im Kabuki ebenso wie in Dragon Quest findet. Auch ein Typ von niedlichen, süßen Comicfiguren spricht das japanische Gefühl und sonst niemanden an. Doch die Ikonologie der japanischen Games, die die Welt erobern, transportieren keinen 'Japanese Dream'. Sie unterliegen einer Semantik der Weltkultur.

Ob Schwarzenegger oder Michael Jackson, Dinosaurier oder mutierte Schildkröten - die globalen Bildermoden, in die die Games sich kleiden, wandeln sich, doch die Spielstrukturen bleiben gleich. Auf die Frage ob neue Medien auch neue Games bringen, antwortete Henk Rogers, Chef von Bullet-Proof Software in Yokohama, dem Lizenzträger für Tetris: "Games unterliegen Moden. Stile nicht. Die heutigen Bestseller sind Varianten von Spielen, die wir im College mit Papier und Bleistift gespielt haben." (4) In der Tat kann man noch viel weiter zurückgehen. Games gehen über Huizingas Grundkategorien von Spielen nicht hinaus. Wettkampfspiele, Strategiespiele, Geschicklichkeitsspiele, kombinatorische Spiele wie Puzzle, Rätselfragen, Zufallsspiele - sie alle lassen sich natürlich auch in ihrer Game-Form wiederfinden. Die Aufführungen und theatralischen Inszenierungen, denen Huizinga eine so wichtige soziale Funktion zuerkennt, treten auf als Simulations-Games, in denen man große historische Ereignisse nachspielen kann, oder so tun, als sei man Bürgermeister von SimCity oder Gott von SimLife. Sowie in Rollenspielen. Das wichtigste große Rollenspiel, Dungeons & Dragons geht zurück auf Tolkiens mythisch-fantastische Science Fiction "Herr der Ringe". Als Buch-Spiel erlangte D&D Kultcharakter und entführte Spieler-Gruppen für Wochen in ein Fantasiereich von Elfen und Magiern. Rollenspiele können endlos weitergespielt werden. Sie sind offen, da jeder Spieler das Scenario verändert.

In Japan löste die D&D-Variante Dragon Quest 1986 ein Rollenspiel-Fieber aus. Bei Erscheinen der 3. und 4. Folge standen jeweils 10.000 Leute vor einem Discount-Laden Schlange, um es als erste zu bekommen. In der Beliebtheitsskala, besonders unter Mädchen, rangieren Rollenspiele an der Spitze. Auch im Datennetz sind Multi-User Dungeons, kurz MUDs, eine der wichtigsten Kategorien. Ich werde auf MUDs noch zurückkommen.

Computer als Spielpartner

Ich hatte eingangs versucht zu zeigen, wie der Spielraum der technischen Medien dahin tendiert sich zu Verbundsystemen zusammenzuschließen und zu vernetzen. Auch in Gamestrukturen sind soziale Netze angelegt, wie deutlich an Rollenspielen zu sehen ist. Doch vorerst haben wir es mit dem stereotypen Bild vom Gamer zu tun, der in der Symbiose mit der Maschine für die Welt verloren ist.

Mit dem Computer wird erstmals eine Maschine zum Gegenspieler. Ein Spielpartner, der stets bereit ist, der den Spieler einhüllt und ihn die Außenwelt vergessen läßt. Nicht jeder spielt, aber jeder der spielt spürt die Sogwirkung der Games. Am deutlichsten tritt die Fesselungskraft zutage bei Game-Freaks, Mania, Otaku (5), Hackern, pejoriativ auch: 'Nintendo Zombies'.

Identifikation durch Handeln hat eine besondere Bindekraft. Wie beim Sport sind Spieler in einem hochgradig fokussierten und aufgeladenen Geisteszustand. Für viele geht es nicht um Punkte, sondern um diesen Zustand hochgradiger Aufgeregtheit, Konzentration, Anspannung. Und der stellt sich ein, egal ob man Karatekicks austeilt, Raumschiffe abschießt oder abstrakte Puzzle-Teile einpasst. Wie festgestellt wurde, führt er zur Ausschüttung von Endorphinen (körpereigenen Morphium-artigen Stoffen), weshalb schwerkranke Kinder, die Games spielen, nur halb so viele Schmerzmittel brauchen wie solche, die nur TV kucken. Ein technisches High. (6)

"The video game reflects the computer within", schreibt Sherry Turkle. Es hat eine "Holding power whose roots are aggressive, passionate, and eroticized." (7)

Die Frage ist nicht entscheidbar, ob Games soziale Isolation fördern können, oder ob sie umgekehrt das Bedürfnis nach Alleinsein in einer biographischen Entwicklungsphase oder in den zunehmend anomischen Sozialbeziehungen ansprechen.

Die Tatsache, daß Games sich weit über die klassische Gruppe von 8 bis 14-jährigen Jungs ausbreiten, spricht für letzteres. Fast die Hälfte aller Game Boy-Spieler sind Erwachsene. Die Taschenspiele tauchen in Attaché-Koffern und der Business Class von Trans-Pazifik-Flügen auf. Präsident Bush ließ sich Anfang 1991 im Krankenhaus mit Game Boy ablichten.

Gamer werden nicht nur älter, sondern auch jünger. Segas "Kids Computer Pico", ein interaktives Bilderbuch, richtet sich an Vorschulkinder ab 3 Jahren.

In vielen Haushalten sind mittlerweile Mädchen die häufigsten Spieler. Sieht man sich die Alters- und Geschlechtsverteilung der TV-Gamer in Japan an, so findet man bei den männlichen Spielern den erwarteten Peak bei den Teens, von denen 72% spielen (8). Bei den weiblichen Spielern jedoch steigt der Anteil mit zunehmendem Alter. Der Peak liegt bei den 30-40-Jährigen, von denen 35% spielen. Alle Altersgruppen werden von der 'holding power' des Computers und der Games erfaßt.

Die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang von Games und sozialer Isolation ist falsch gestellt. Auch Einzel-Games sind eingebunden in einen sozialen Kontext. Sie sind wichtiges Gesprächsthema auf dem Schulhof. Cartridges und Game-Tips werden getauscht. Damit wird das Spiel nicht nur zu einem Wettkampf gegen den Computer, sondern auch gegen die Freunde, die sich in der Liste der Höchstpunktzahlen eingetragen haben.

Nach einer Erhebung von Dentsu (dem größten Werbekonzern der Welt) werden Heim-Games in drei Vierteln aller Fälle mit jemandem gemeinsam gespielt (9) . Mehr-Personen Game-Systemen werden immer beliebter, z.B. ein Fußball-Game für acht Spieler. Der Trend zeigt an: wie raffiniert die Programme auch sein mögen, der größte Reiz liegt offenbar immer noch im Spiel mit anderen Menschen. Dies suggeriert, daß die geschlossene Game-Welt nach hinten offen ist.

Die Matrix/Habitat

Bei der Behandlung der Computer-Funktion Übertragen hatte ich gesagt, daß für die soziale Bedeutung von Games ein Netz mit Austausch in allen Richtungen entscheident ist. Die 'Matrix', wie das weltweite Geflecht von Computernetzen genannt wird, hat bereits mehrere 10 Millionen Teilnehmer und wächst exponentiell. In Japan haben ca. 2 Mio Menschen Zugang zu Datennetzen. Wie überall mit schnell wachsender Tendenz.

Die Hauptnutzung solcher Datennetze ist asynchrone electronic mail. Für Games jedoch ist synchrone Kommunikation Voraussetzung. Huizinga charakterisierte das Spiel durch seine raum-zeitliche Einheit. Folglich erleben die Spieler im Netz ein Gefühl von Präsenz nur, wenn sie sich gleichzeitig in den gleichen Datenraum einloggen, egal aus welcher der Zeitzonen der Welt.

Die Grundfunktion dafür ist 'Chat': mehrere Teilnehmer schreiben sich auf dem gleichen Kanal Einzeiler zu. Reiner Chat ist noch kein regelgelenktes Spiel im engeren Sinne, sondern Sprachspiel, Geplauder. Der beste Vergleich zu etwas in 'real life' ist der Salon. Aber über ähnliche Kanäle lassen sich Brettspiele wie Schach, Go oder Backgammon mit einfachen ASCII-Graphikdarstellungen von Brett und Spielsteinen aufbauen.

Ein reicheres Repertoire von Ausdrucksmöglichkeiten gibt es bei MUDs - Multi-User Dungeons oder um der erweiterten Funktion von MUDs gerecht zu werden: Multi-User Dimensions. MUDs gibt es seit 10 Jahren. Heute laufen etwa 200 kommerzielle und nicht-kommerzielle MUDs, vor allem in den USA, den skandinavischen Ländern und in England.

Bei einem MUD werden aus den Chat-Kanälen 'Räume' mit programmierten Objekten, in denen sich die Spieler bewegen. Die Welt kann eine Stadt sein, eine Raumstation oder eine klassisches D&D Szenario. In der LambdaMOO [lambda.parc.xerox.com] beispielsweise betritt man die virtuelle Welt durch den Kleiderschrank. Hier ruhen alle Figuren, die derzeit nicht online sind. Mit dem Befehl 'out' tritt man hinaus ins Wohnzimmer, der Ort für den regsten Austausch. Bewegung erfolgt über Richtungsbefehle, 'Nord', 'West', usw. oder durch teleporting. Kommunikation läuft mit Befehlen wie 'say', 'whisper' oder 'page'. Mit 'look' und 'examine' erhält man die Beschreibungen von Objekten und die Selbstbeschreibungen der anderen Spieler. Je nach schriftstellerischer Qualität der Autoren entsteht beim Spieler ein mentales Bild der Räume und der anderen Teilnehmer. Es wäre nicht falsch, MUDs als eine neue Literaturgattung anzusehen.

Die reine Textkommunikation kann in den üblichen MUDs nur angereichert werden durch paralinguistische Ausdrucksformen ('pose', 'emote'), also geschriebene Gesichtsausdrücke, Kopfnicken, Applaus usw.

Habitat ist der erste Versuch, ein graphisches online environment für tausende von Spielern zu entwerfen. Geschrieben von Chip Morningstar und Randall Farmer für Lucasfilm, ging es 1985 online. Nach drei Jahren im kommerziellen US-Netz Quantum Link beteiligten sich daran 15.000 Spieler. Fujitsu hat Habitat für Japan adaptiert. Die japanische Version läuft sei Anfang 1990 auf NIFTYServe, dem größten kommerziellen Netz in Japan mit einer halben Million Abonnenten. Fujitsus Habitat hat 8.500 Spieler, 500-600 davon loggen sich mehrmals pro Woche ein. Der Frontend-Computer, der die lokale Graphik- und Sounddarstellung produziert, ist Fujitsus FM-Towns mit CD-ROM-Laufwerk.

Die virtuelle Welt heißt Populopulis und besteht aus 360 Regionen - Wohngegenden, Stadtzentren, Parks, Wäldern und Dungeons. Jeder Spieler bekommt einen Körper für seinen "Avatar", wie die Repräsentation des Spielers mit einer religiösen Metapher heißt. Dazu kann er sich einen von 1.000 Köpfen aussuchen, männlich, weiblich, alt, jung, Tier oder Monster. Die nicht-verbale Kommunikation, die über die Text-basierten MUDs hinausgeht, ist minimal: man kann seinen Avatar dem Angesprochenen zuwenden, die Arme hochwerfen, boxen, hochspringen, laufen. Man kann mit einem der hunderten von Objekten interagieren, z.B. Türen, ATMs (Automatische Token Maschine, mit der man Habitat-Geld abheben kann), Waffen, Vendroide (Verkaufsautomaten), Medikamente, Mülleimer. Ohne Befehl erscheint die Tastaturengabe direkt in der Sprechblase über dem eigenen Avatar.

Es gibt zwar auch hier Spiele im Spiel, z.B. Einarmige Banditen, Schatzsuchen, Lotterien, Aufführungen, z.B. von Tanz oder Magie. Doch am meisten Vergnügen bereiten die großen gesellschaftlichen Spiele Wirtschaft, Politik, Kultur.

In den sechs Wohnbezirken gibt es allerlei zu regeln. Vorsitzende sind gewählt und zuweilen bei einem Coup d'etat wieder gestürzt worden. Polizei geht gegen Diebe vor. Unternehmen kommen auf, z.B. führt ein Reisebüro Neulinge in die umfangreiche virtuelle Welt ein. In der amerikanischen Version entstand eine Kirche, die von einem römisch-katholischen Priester in 'real life' geleitet wurde. Da Japan buddhistisch sei, erklärte mir Hisashi Naka vom Fujitsu Hyper-Media-Center, gäbe es im japanischen Habitat keine religiösen Institutionen. Aber geheiratet wurde auch schon. Außerdem gibt es Zeitungen, Haiku-Wettbewerbe und Kabuki, eine Habitat-Universität (10)

Die englische Sprache kennt die Unterscheidung vom regelgelenkten 'Game' und dem freien 'Play', das sich die Regeln jeweils neu schafft. Im Habitat entstehen spontan und spielerisch - im Sinne von 'Play' - soziale Institutionen.

Das Tele-Soziale

Jennifer Smith schreibt in einer Art Grundlagendokument über Multi-User Dimensions: "Die Entscheidung steht noch aus, ob MUDs 'nur ein Game' oder 'eine Erweiterung des wirklichen Lebens mit Game-artigen Qualitäten' sind." (11)

Habitat ist unmittelbar ansprechend, weil es etwas zu sehen gibt. Doch die text-basierten MUDs sind mächtiger als Habitat. Was man an einfacher Graphik bei Habitat gewinnt, muß man durch einen Verlust an Programmierbarkeit bezahlen. In Habitat können Spieler keine neuen Objekte oder Räume schaffen. Außerdem kann man mit McLuhans Unterscheidung von heißen und kalten Medien fragen, ob nicht durch eine explizitere, dichtere, heißere Darstellung der Spielraum der Einbildungskraft abnimmt.

Das Tele-Soziale hat dem Medium gemäße Charakteristika. Es ist losgelöst von der Geographie und den Zeitzonen und bildet dennoch eine raum-zeitliche Einheit. Es ist körperlos und geschlechtslos. Eines der beliebtesten, aber auch irritierensten Spiele ist die elektronische Geschlechtsumwandlung (in der LambdaMOO z.B. kann man aus acht sprachlichen Geschlechter wählen). Es erfolgt sehr wohl eine Innervation des Körpers und physiologische Effekte, wie die genannte Ausschüttung von Endorphinen. Doch Ausgangspunkt sind die Bilder im Kopf. Insofern kann man von einem Vorschub der Zerebralisierung sprechen.

Weiterhin gilt, was ich eingangs über Medien und Spiele allgemein gesagt hatte: MUDs schaffen eine Ordnung, einen ästhetischen Stil. Eine eingeschränkten Gültigkeit gegenüber dem Wirklichen. Spannung, Zeremonie und Verführung.

Als Kommunikationsmittel geht die Matrix nicht in ihrer Techno-Logik auf. Sie stellt den Rahmen dar für den sozialen Akt der Gemeinschaftsbildung. Diese können den Charakter eines Salons, einer Kneipe, eines Hobbyclubs, einer wissenschaftlichen Konferenz haben. (Eine erweiterte Version von LambdaMOO wird derzeit zu einer Konferenz-, Arbeits- und Begegnungsstätte für Astronomen ausgebaut. Eine weitere professionelle MUD ist MediaMOO am MIT für Medienforscher [purple-crayon.media.mit.edu 8888].)

Die Erfahrung hat gezeigt, daß sich komplexe soziale und emotionale Bindungen zwischen MUD-Spielern herausbilden. Debatten, Freundschaften, Flirts und Romanzen treten auf, sowie eine Ebene von emotionaler und oft quasi-physischer Intimität, gar geschriebener Netsex ("speed-writing interactive erotica with one hand on the keyboard" (12) ). Mit einer gewissen Dauer der Interaktion entsteht eine gemeinsamen Geschichte, die für das Gefühl von Gemeinschaft unerläßlich ist. MUDs sind unwirkliche Umwelten, in denen sich wirkliche Gemeinschaften herausbilden.

Es wäre noch viel zu sagen z.B. über die Formen der geschriebenen Kommunikation oder über die Auswirkungen des Maskenspiels und der Anonymität. Eine Tele-Soziologie wäre notwendig, um solche Fragen näher zu untersuchen.

MUDs sind keine Spiele gegen den Computer. Die Anziehungskraft des Anderen des Menschen, nämlich der Maschine ist nicht zu unterschätzen. Dennoch behalten alle Spiele mit dem Computer als Game-Partner eine spürbare Statik. Kein noch so raffiniertes Game erreicht die Fülle, Komplexität und Tiefe von menschlichen Wesen. In den 'soziale Spielen' der MUDs kann man beobachten, wie aus dem Geist des Spiels im Sinne Huizingas erneut soziale Institutionen entstehen. In den Multi-User Kerkern werden Ursprungsmythen nachgespielt, die den Einzug in die Medien markieren und den Beginn des Tele-Sozialen.

 

 


 

Fußnoten

1. Kunstwerk XIII

2. Huizinga, S. 10

3. Nomura Research Institut Quartely, Winter 1992, S. 70. Der Multi-Media-Markt in Japan hatte 1992 einen Umfang von ca. 3 Mrd DM (¡ 223 Mrd). Doch das ist erst der Anfang. Seine Verzehnfachung in den nächsten Jahren wird vorhergesagt.

4. Sheff, S.273

5. Volker Grassmuck, Otaku

6. Sheff

7. Sherry Turkle

8. Jôhô Media Hakushô 1992, Dentsu, p. 83-89

9. Jôhô Media Hakusho, S. 90

10. Atsugi Yoshida, Jun Kakuta

11. Jennifer Smith, MUD-FAQ

12. Ebd.

Literatur

Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (zweite Fassung) in: Gesammelte Werke, S. 471ff.

Japan 1993 Marketing and Advertising Yearbook, Dentsu, Tokyo 1993

Dentsu-Sôken, Jôhô Media Hakusho 1992, Tokyo 1992

Volker Grassmuck, "I'm alone, but not lonely. Japanese otaku-kids colonize the Realm of Information and Media. A Tale of Sex and Crime from a faraway place" in: Mediamatics Vol. 5, No.4, Winter 1990

Johan Huizinga, Homo ludens. Proeven ener bepaling van het spelelment der cultuur, Groningen 1985

Chip Morningstar u. F. Randall Farmer, The Lessons of Lucasfilm's Habitat, in: Michael Benedikt (ed.), Cyberspace. First Steps, MIT Press 1991

Nomura Research Institut Quartely, Winter 1992, S. 70

Eugene F. Provenzo, Jr., Video Kids. Making Sense of Nintendo, Harvard Univ. Press, Cambridge, Mass. 1991

Jill Serpentelli, Conversational Structure and Personality Correlates of Electronic Communication. Per anonymous ftp aus [parcftp.xerox.com]/pub/MOO/papers/

David Sheff, Game Over. How Nintendo zapped an American Industry, Captured your Dollars and Enslaved your Children. N.Y. 1993 / deutsch: Nintendo-Game Boy - Ein japanisches Unternehmen erobert die Welt, Goldmann Verlag, München 93

Jennifer "Moira" Smith, Frequently Asked Questions: Basic information about MUDs and MUDding, 3 Teile, regelmäßig geposted in Usenet: rec.games.mud

Sherry Turkle, The Second Self: Computers and the Human Spirit. N.Y. 1984

Atsugi Yoshida, Jun Kakuta, People who live in an on-line virtual world, IEEE intern. Symposion RoMan '92

Zu MUDs vergl. auch Wired July/Aug. 93

 

Dank an Hiroshi Masuyama, Hisashi Naka (Fujitsu Hypermedia Center), Machiko Kusahara, Dai Satô (ED Magazine), Hiroshi Ikeda (Nintendo), Hans-Jörg Hinkel (SNK), Satoshi Tajiri (Game Freak), Aki Miura (Ape Inc.), Tsuyoshi Takashiro (Future Pirat). Extra-Dank an Gerhard Hackner und Uwe Schmitt, ohne deren Unterstützung nicht nur dieser Text nicht zustande gekommen wäre.

 

 

 

last updated 02-07-25

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