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Informationsgesellschaft als Fortschreibung eines 
geschlossenen diskursiven Raumes

oder
"Internationarity from Japan"
Volker Grassmuck
 
- Entwurf 1990 -
 

Japan ist ein Verhältnis. Eines zwischen der diskursiven Einheit 'westlicher Forscher' und dem diskursiven Gegenstand 'Japan'. Letzterer liegt in einem Koordinatennetz aus europäischen, US-amerikanischen, asiatischen, Kanji-schriftkulturellen und japanischen Feldern, aus Orientalismus und Nihonjinron. Die Elemente changieren. Was als unter Japanologen und Japanern fest etabliertes Wissen über Japan erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als ondit aus vergangener Zeit, das vor der gegenwärtigen sozio-kulturellen Entwicklung vollends obsolet wird. Was als archaische Shintô-Rituale daherkommt (z.B. die Thronbesteigungszeremonie) ist kaum mehr als hundert Jahre alt. Was als Schlüssel zu Japan gilt, z.B. die Gruppenidentität oder das Kind-Mutter-Verhältnis, erweist sich als charakteristisch für ganz Ost-Asien.

Erstere, die diskursive Einheit 'westlicher Forscher', liegt ebenfalls in einem Koordinatennetz aus Orientalismus und Nihonjinron sowie den Instrumenten aus der Soziologie und der Japanologie, die beide gemein haben, daß sie in der Krise sind. Soziologie und Japanologie teilen mit dem Gegenstand 'Japan' die Suche nach einer Identität, nach einer Abgrenzung in einem kulturellen Rahmen, der das Eigene vom Andern trennt. Die Strategien Japans sind teils homemade, zum großen Teil aus der Konfrontation mit westlichem Wissen entstanden. Das Bild, das Japan sich und der Welt von sich macht, ist das, was als Definition des Anderen von uns ausgegangen ist. Die Bestimmung eines sozialen Phänomens ist für einen deutschen Soziologen in Japan notwendig auch eine Bestimmung seines Verhältnisses zum Anderen und zum Eigenen.

Das Problem von ´Innen´ und ´Außen´ stellt sich beim Untersuchungsgegenstand Informationsgesellschaft Japan noch auf einer weiteren Ebene. Medien schaffen einen Raum der Immanenz. Auch sie, wie die Paranoia des modernen Wissens, dulden nichts außerhalb ihrer selbst. Ein geschlossener Raum, der virtuell immer schon alles enthält. Entwirklichung ist eine Psychodynamik Japans im Prozeß der Abgrenzung von eigenem und anderem. Entwirklichung ist auch die Dynamik der Medien in der globalen Informationsgesellschaft.

Zudem wird das Problem in einem ideologisch aufgeladenen Raum ventiliert. Wo's um nationale Identitäten und den Kampf um Marktanteile geht, ist unvoreingenommene Beobachtung rar.

Es geht im folgenden um die Annäherung an methodische Probleme bei der Untersuchung der Informationsgesellschaft Japan.
 

 

Schließung und Riß des diskursiven Raums

Karatani Kôjin(1) benennt die grundlegende Problematik der japanischen Kultur als eine der Ausschließung des Verkehrs mit einem Exterioren. In der Zeit von 1638-1868, auf die Karatani sich bezieht, war das Betreten und Verlassen des Landes bei Todesstrafe verboten. Das Bild möglicher Anderer existierte nur in der Form assimilierter chinesischer Kulturelemente. Westliche Einflüsse - Waffentechnologie, Christentum und in geringerem Umfang naturwissenschaftliches Wissen - wurden gründlich ausgelöscht (Christenverfolgung) oder vom Shogunat kontrolliert (Musketen, die in der vorangegangenen Phase der streitenden Fürstentümer eine wichtige Rolle gespielt hatten, wurden eingezogen). In dieser 230-jährigen Abschließung des Landes bildete sich heraus, was Karatani den "geschlossenen diskursiven Raum" nennt.(2)

Asada Akira nennt die gleiche Struktur im heutigen Zusammenhang "Mandala", eine geschlossene Struktur, eine Kaskade von endlosen selbstähnlichen Schichten. Das unendliche Ganze des Kosmos ist enthalten in den endlichen Teilen des Mandalas. Eine Form idealistischer Metaphysik der Totalität und vorbestimmter Harmonie.(3)

Es ließe sich argumentieren, daß die Schließung der Tokugawa-Zeit einen Vorläufer in der Kamakura- und Muromachi-Zeit (894 - 1401) hatte. Nach dem Abbruch der offiziellen Gesandtschaften nach China hatte Japan zwar noch Außenkontakte über chinesische Händler, japanische buddhistische Mönche und Piraten, aber die kulturelle Bedeutung dieser Kontakte war so gering, daß einige Autoren von einer Halbabschließungsphase reden.(4) Phasen, in denen Japan seine ausgeprägte Assimilationsfähigkeit beweist, werden gefolgt von Phasen der Rekonsolidierung des geschlossenen Raumes. Die Synkretismen aus den partiellen Übernahmen aus verschiedenen Räumen und Zeiten werden 'japanisiert'. Das Mandala schließt sich auf jeder Stufe wieder um angeeignetes Wissen und Formen.

Die Schließung hat sich zunächst gegen China, das wichtigste Außen Japans seit dem 5.Jh., konstituiert. Nachdem Japan Schrift, Religion, Organisation von Hof und Staat aus China übernommen hatte, rückbezieht es sich auf sich selbst. Die deutlichste Formulierung stellt die Kokugaku (nationale Lehre) im 17.Jh. dar, einem Vorläufer der Nihonjinron-Diskurse, wie sie unter diesem Namen nach dem Zweiten Weltkrieg aufkamen. Autoren wie Motoori Norinaga und Aizawa Seishisai forderten die Zurückweisung chinesischer Elemente in der japanischen Kultur und eine Rückkehr zu den wahren Wurzeln Japans. In den Vordergrund ihrer Bestimmung eines von ausländischen Verunreinigungen freien Japans stellten sie die ältesten überlieferten Texte, das Kojiki (712), ein kosmologischer Text und schintoistische Ursprungsgenealogie, und das Nihongi (720), Annalen Japans - beides mündliche Überlieferungen aufgeschrieben im Auftrag des Tennô von koreanischen Gelehrten in der gerade eingeführten chinesischen Schrift. Motoori behauptet in seiner Kritik des Konfuzianismus, "die Tatsache, daß es in Japan ursprünglich kein normatives Denken gegeben habe, sei ein Beweis für die Vollkommenheit der Realität jener frühen Zeit: Die Notwendigkeit einer besonderen 'Lehre' habe gar nicht bestanden. Daraus folgt bei ihm einerseits Achtung vor der angeborenen Sinnlichkeit und andererseits passive Folgsamkeit gegenüber dem bestehenden Herrschaftssystem - letzten Endes also eine doppelte Bejahung der Realität 'so wie sie ist'."(5) Shintô ist der 'Weg der Gottheiten' und des von der Sonnengöttin Amaterasu abstammenden Tennô-Geschlechts. Viele der Techniken von Einschließung und Ausgrenzung und der Topoi der Einmaligkeit (Tennôtum, besonderes Verhältnis zur Natur, besondere Sinnlichkeit), die bis heute immer wiederkehren, werden im kokugaku in einem System formuliert.

Eine Schockwelle lief durch den geschlossenen diskursiven Raum mit dem Sieg Englands über China im Opium-Krieg und mit den amerikanischen Schwarzen Schiffen, die 1853 die Öffnung Japans für den Außenhandel erzwangen. Diese Konfrontation mit dem westlichen Außen führte nicht zu einer Öffnung oder Unterminierung des geschlossenen diskursiven Raumes, sondern zu einer Aufspaltung. Dem Psychoanalytiker Kishida Shyû zufolge lassen sich die Symptome der japanischen Kultur in der Zeit nach der Öffnung in den individualpsychologischen Kategorien von Spaltung in 'inneres Selbst' und 'außengerichtetes Selbst' beschreiben. Kishida geht aus von Freuds Theorie der Spaltung des Ich im Prozeß der Abwehr eines Traumas. Ein Akt der Verleugnung der äußeren Wirklichkeit, die einem inneren Triebgeschehen Widerstand leistet, erzeugt einen Riß im Ich, der zu einer Spaltung führen kann, die Kishida mit Ronald D. Laing als die in inneres und externes Selbst bezeichnet, einen Prozeß der Entwirklichung.

Diese Spaltung fand im offiziellen Denken der Meiji-Zeit Ausdruck in der Formel 'Westliches Wissen, japanischer Geist' (wakon-yôsai). Die erzwungene Öffnung des Landes brachte ein äußeres Selbst hervor, das die Staatsform, Naturwissenschaften und Technik, Bildungssystem usw. bereitwillig aus dem Westen übernahm. Aus der Sicht des inneren Selbst, des 'japanischen Geistes', war dieses Selbst zum Feind übergelaufen. Das innere Selbst empfand eine zunehmende Erniedrigung, fühlte sich 'vergewaltigt' (Kishida). Es verschaffte sich stärkeren Ausdruck nach dem Sieg über Rußland (1905) und in den 30er Jahren und eskalierte - für Kishida besonders eklatanter Ausdruck von Entwirklichung - im Angriff auf Pearl Harbor.(6)

Der Bruch kann an vielen Stellen in der japanischen Kultur nachgewiesen werden, z.B. in der Sprache, die eine eigene Silbenschrift den Fremdwörtern vorbehält. Schriftsteller wie Natsume Sôseki, Tanizaki Yun'ichiro und Mishima Yukio schrieben in westlichen Stilen und kehrten später zu überlieferten japanischen Formen zurück. Natsume, der in seinen Novellen den Bruch zum Thema machte, fand schließlich Ruhe in Gedichten in einem altertümlichen kanbun-Stil. Mishima machte die gleiche Kehre von westlichen Literaturformen zum japanischen Stil. Das Wesen des Japanischseins fand bei ihm Ausdruck in soldatischem Samuraitum, body-Kult und Tennô-Verehrung. Marxistische Denker in den 20er und 50er Jahren wendeten sich von den ´leeren, abstrakten Formeln´ des westlichen Denkens ab, und hin zur japanischen Philosophie, die die Welt des Einsseins von Materie und Geist ist, zum umarmenden Charakter des japanischen Volkes.

Das Konzept von honne - tatemae kam nach dem 2.Weltkrieg auf. Es benennt die Trennung einer wahrhaften, tief empfundenen Intention oder Einstellung - honne - und einer nach außen gerichteten Oberfläche, Fassade - tatemae - (wörtlich: 'vor dem Gebäude'). Das 'innere Selbst' durfte sich nach der Niederlage nicht mehr ausdrücken. Das 'außengerichtete Selbst' nahm reeducation, Umstrukturierung von Wirtschaft, Politik und Bildungssystem unter der sechsjährigen US-amerikanischen Besatzung ohne Widerstand an.

Das Japan, von dem hier die Rede sein soll, ist situiert in einem geschlossenen diskursiven Raum; in einem weichen Mandala, das allem, was - wahrgenommenermaßen - ist, einen Platz zuweist, ohne die Stabilität und Harmonie der Struktur als ganzer zu gefährden; in einer Dopplung des Wissens und der Zeichen in eine nach-außen-gerichtete Form (exteriores Selbst, tatemae, Verwestlichung) und einen Kern (inneres Selbst, honne, Japanischsein).

 
 

Die Außenwelt

Die außen-gerichtete Seite des diskursiven Raumes konstituiert sich durch eine Aneignung dessen, was als fremd und inkompatibel aber 'stark' und 'relevant' gesehen wird. Was als 'schwach' identifiziert ist, wird ausgeschlossen, auf Distanz gehalten, übersehen.

Das Soziale ordnet sich entlang der Achse 'überlegen - unterlegen'. Begegnungen zwischen Individuen und Gruppen beginnen stets damit, sich gegenseitig zu taxieren, feinste Unterschiede in Alter und Rang herauszulesen, um die momentane Unsicherheit in eine definierte Unter- und Überordnung aufzulösen.(7) Freundschaft existiert nicht zwischen Japanern, schreibt Karatani, selbst in intimen, persönlichen Beziehungen findet eine vertikale Zuordnung statt.

Der gleiche Rahmen vertikaler Ordnung findet Anwendung in den internationalen Beziehungen. Hier, wie in den persönlichen Beziehungen, ist die Ordnung nicht absolut, nicht auf ein Transzendentales bezogen, sondern relativ und veränderlich. Der erste Außenkontakt nach der Bildung des ersten japanischen Dorfstaates ca. im 4.Jh. war die Unterordnung (nicht Unterwerfung) gegenüber der überlegenen Kultur Chinas und ihres Mittlers Korea. Auf den Niedergang Chinas in der Sung-Dynastie (960-1279) reagiert Japan mit einer Konsolidierung des Eigenen und einem Gefühl von Überlegenheit.

Die Antwort auf den Westen war wiederum Unterordnung und aktive Aneignung potentiell bedrohlicher Technologien, Ideen und Menschen in einer Art Selbstkolonialisierung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steigt Japan in rasendem Tempo zur Weltwirtschaftsmacht auf, und der Erfolg führt zu einer neuerlichen Konsolidierung des 'inneren Selbst' im Nationalismus und Militarismus der 1930er Jahre. Die militärische Niederlage führt wiederum zu einer vollständigen Unterwerfung und einem Sinn von Unterlegenheit, der gern aber fälschlich als Minderwertigkeitskomplex dem japanischen Nationalcharakter zugeordnet wird. Seit dem wirtschaftlichen Aufstieg in den 1970er und 80er Jahren und der Krise der Referenznation USA kehrt sich heute das hierarchische Verhältnis um, fühlen sich viele Japaner in Wirtschaft, Finanzen und Bildung den USA überlegen.

Es gibt mehrere Strategien für die Aneignung dessen, was als 'stark' oder 'relevant' identifiziert ist. Pragmatisches und funktionales Wissen wird direkt inkorporiert (Naturwissenschaften und Technik). Theoretisches Wissen wird in abgeschlossene Orte im Inneren, in Fächer des Mandala hereingeholt und als fremd markiert. Fremdwörter werden in ein fast ausschließlich zu diesem Zweck vorhandenes Silbensystem (katakana) übertragen und stehen grafisch aus jedem Text hervor. In den sog. Übersetzungswissenschaften (Sozial- und Geisteswissenschaften) werden westliche Texte immer wieder aus dem Original ins Japanische übertragen - eine Fetischisierung des Ur-Textes(8) -, nicht um eine Auseinandersetzung mit den Ideen zu ermöglichen, sondern um diese zu verhindern.

Japan schafft sich informationelle Doubles der Welt. Eine Vergnügungspark-Version von Venedig ist in Jiyûgaôka, Tokyo zu sehen. In Sasebo entsteht gerade ein weiteres kleines Holland, eine Art architektonisches Best-Of-The-Netherlands. Das Fremde wird nicht nur als verkleinerte Version im Eigenen simuliert, die Japanisierung findet auch am Ort des Originals statt. Einer Amerikanerin, die dem Redakteur der japanischen Zeitschrift, bei der sie seit zwei Jahren angestellt war, für eine Sonderausgabe über San Francisco die Kenntnisse über ihre Heimatstadt anbot, wurde beschieden, daß man auf ihre Mitarbeit bei dieser Recherche verzichte, da sie zwar die Stadt kennen mochte, aber nicht wisse, was japanische Leser an San Francisco interessant finden, da sie keine Japanerin sei. 'Ethnisch' markiert in vielen Ländern ein Konfliktpotential multikultureller Gesellschaften. In Japan ist das Wort ein Konsum-Label und markiert eine exotische Vielfalt an Waren und Restaurants.

Es gibt eine deckungsgleiche aber nicht identische Version der Welt für Japan. Der geschlossene diskursive Raum stülpt sich aus, ohne sich zu öffnen. Durch das Mandala hindurch erscheint alles als sein Teil.

 

Das innere Selbst

Unterhalb aller Verwestlichung erhält sich ein unanfechtbarer, unberührbarer Ort des Japanischseins. Er wird nicht mit Worten beschrieben, sondern mit dem Herz erfühlt. Teil daran hat, wer von japanischen Eltern geboren in Japan aufgewachsen ist und Sprache und Kultur vollständig beherrscht. Da die Grenzen von innen und außen dieses geschlossenen Raums als nicht durchlässig vorgestellt werden, bereiten Ausländer, die Sprache und Kultur beherrschen, aber nicht japanisch aussehen, und Dritte-Generations-Auslandsjapaner, die japanisch aussehen, aber Sprache und Kultur nicht beherrschen, besondere Schwierigkeiten der Abgrenzung.

Dieses Japanischsein ist ein Gefühl, das im homogenen, geschlossenen diskursiven Raum wächst und selbstverständlich ist, also keiner Erklärung bedarf. Erst im Kontakt mit dem Außen wird es notwendig, dieses Gefühl zu objektivieren. Argumente dafür liefert der Nihonjinron, der 'Diskurs über die Japaner'. Die 'Einmaligkeit' begründet sich physiologisch in einer besonderen Gehirnstruktur und Darmlänge oder in einem besonderen Naturverhältnis (z.B. Taifun-Typus, Watsuji), einem besonderen Verhältnis zur Mutter (amae - 'Abhängigkeit in Geborgenheit', Doi), einer einmaligen Sprache (chinesische Schriftzeichen und Silbenschrift), einer Inselmentalität usw. All dies sind gegenüber der vorbewußten Selbstgewißheit sekundäre Phänomene, die durch die Reflexivität an einem Außen entstehen. Japans Insularität besteht keineswegs in seiner Geographie oder in einer anderen a-historischen Essentialisierung, sondern genau im geschlossenen diskursiven Raum.

Das am stärksten normative der Einmaligkeits- und Identitätszeichen, dasjenige mit der historisch stärksten mobilisierenden Macht, das als Prinzip oder Wesen oder grundlegender Wert unter dem Druck des westlichen Ansturms in der Meiji-Erneuerung etabliert wurde, ist der Tennô. Seine Rolle schien sich mit dem Tod von Hirohito und dem neuen Stil von Akihito (z.B. eine Bürgerliche zu ehelichen) zu ändern, aber es gibt Hinweise, daß die Funktion des Tennô als leeres Identitätszeichen von dem Individuum, das sie jeweils trägt, unberührt bleibt. Während des Golf-Krieges wurden Versuche unternommen, die Funktion des Tennô im internationalen Feld mit der der Friedensverfassung auszufüllen. Dieses Symbol scheint aber genausowenig wie 'der wirtschaftliche Erfolg' geeignet, das leere Zentrum des Mandala einzunehmen.

 

Informationsgesellschaft als geschlossener diskursiver Raum

Eine Strategie, mit der der geschlossene diskursive Raum sich seiner selbst vergewissert und mit der die Andauer der Schließung legitimiert, bekräftigt und unsichtbar gemacht wird, ist die Informationsgesellschaft.

Die Rede des damaligen Ministerpräsidenten Nakasone Yasuhiro vor einer Provinzversammlung der Regierungspartei LDP am 22. September 1986 demonstriert den Vorgang der Schließung.(9) Sein Thema war der Ort Japans in der heutigen internationalen Welt. Seine Rede berührt eine Vielzahl von Punkten: japanische Geschichte, anthropologische Ideen über den parallelen, polygenetischen Ursprung des Menschen, die Theorie der parallelen Entwicklung (Umesao Tadao), ein Vergleich des feudalistischen Japan mit Frankreich und Deutschland (Japan schneidet mit einer weit überlegenen Literalitätsrate ab), die ältesten Töpferwaren der Welt (gefunden in Japan), der Einfluß plündernder Nomaden aus Zentralasien auf das chinesische und das Heilige Römische Reich, SDI, Atomenergie, Monsun-Buddhismus gegenüber Wüsten-Monotheismus, die hochentwickelte Informationsgesellschaft. Nakasone beendet seine Rede mit einem Appell, die rassischen Ursprünge der Japaner zu erforschen, denn nur, wenn die Japaner ihre eigene Identität kennen, können sie ihre Verschiedenheit vom Rest der Welt verstehen.

Nakasone verknüpft prähistorische Vergangenheit und high-tech Zukunft in einem Narrativ des Wissens. Bildung und Literalitätsrate sind die deutlichste Bestätigung für Japans gegenwärtige Überlegenheit. "In Amerika gibt es viele Schwarze, Puertoricaner und Mexikaner, und im Durchschnitt ist Amerikas Intelligenzniveau immer noch extrem niedrig." Wohingegen Japan eine "Hochgeschwindigkeits-Gesellschaft", eine "dichte, bewegte Gesellschaft", eine "hochgradige Informationsgesellschaft" ist. Keine andere Gesellschaft hat den Überfluß an Information, den Japan hat, und in keiner anderen Nation "kommt einem Information so natürlich/selbstverständlich in den Sinn... Es gibt kein anderes Land, das seinen Menschen so vielfältige Information so akkurat zu Ohren bringt. Es ist eine sehr intelligente Gesellschaft geworden - sehr viel mehr als Amerika."(10)

Der Nachteil - Japaner empfinden sich nicht als reich, aufgrund des beschränkten Raumes - wird zu einem Vorteil verkehrt - Enge fördert Kommunikation und Information. Der Wirtschaftwissenschaftler Takeuchi Kei, Emeritus der Tokyo Universität, bspw. leitet die Neigung der Japaner zur Information geschichtlich aus dem Handel zwischen vielen kleinen Fürstentümern in der Tokugawa-Zeit ab, aus dem ein dichter Verkehr von Menschen, Waren und Informationen erwuchs. Die Superiorität wird von Nakasone legitimiert, die Schließung bekräftigt, indem er Information als 'natürliches Milieu' der Japaner präsentiert, nicht als Ware. Die japanische Information repräsentiert Wirklichkeit akkurat, keinesfalls ideologisch. Die Dichte und Geschwindigkeit der Information beruht auf und bestärkt eine rassische, kulturelle und linguistische Homogenität, einen Konsens über Kommunikationsregeln und Zeicheninterpretation. Die 'parallele Entwicklung' konstituiert eine grundlegende Inkompatibilität, einen reinen Ort rassischer Identität, von dem aus sich Hierarchien der Differenz erschließen. Japan hat keine natürlichen Ressourcen (mehr), aber Know-how. Die industrielle Gesellschaft drehte sich um Materie, die post-industrielle um Information. Deshalb fördert der Gang der Weltgeschichte den japanischen Erfolg.

Ivy bezeichnet Nakasones Rede mit Deleuze/Guattari als klassisches, paranoisches Delirium, das sich durch welthistorischen, politischen und rassischen Inhalt auszeichnet. Der geschlossene diskursive Raum organisiert sich paranoisch gegen das Außen. Paranoia ist eine intellektuelle Form der Hypertrophie der Einbildungskraft. Sie umschließt alles Wahrgenommene und kann aufgrund ihrer Struktur niemals widerlegt werden. Die japanische Paranoia kommt im Gegensatz zur jüdisch-christlichen ohne metaphysisches Zentrum aus.

 

Pseudo-Internationalisierung

Japan ist selbst-bewußt und selbst-zentriert geworden in seinem Gefühl der Superiorität. Es hat sich in bequemer Selbstgefälligkeit im geschlossenen Diskursraum eingerichtet. Die Beziehung zu einem Außen laufen nicht mit diesem, sondern mit dessen Bildern, die Welt wird in Felder im Mandala Japan konvertiert.

"Internationarity from Japan"(11): Der Schreibfehler drückt das Gegenteil von dem aus, was das Wort besagen will. "From Japan" kommodifiziert 'Internationalität' zu etwas, das exportiert, das der Welt von Japan gegeben werden kann. Es leugnet die Tatsache, daß Internationalität etwas rein Relationales ist. Man kann nicht für sich alleine international sein. Für den japanischen Konsumenten könnte die Botschaft der beiden Wörter sein: 'Kauf Japanisch!', verbunden mit dem leeren Attribut 'international', das zunächst nichts ist als eine Sprachmode (wie 'fuzzy' und 'advanced').

Katô Shuichi sagt, daß 'Internationalisierung' in Wirklichkeit nichts sei als ein Schlagwort, hinter dem sich die Money-Ideologie und die TV-Abhängigkeit der Japaner bequemen Schutz suchen. Zusammen mit dem diffusen Nationalismus, dem Mangel an Kritik (hervorgerufen von der überwältigenden Macht des naturwissenschaftlichen und technologischen Denkens) und einem Mangel an menschlichen Werten addiert sich das, so Katô zu einer geistigen Armut. Eine Krise in der Gesellschaft (z.B. durch das Platzen der 'bubble economy') fände Japan unvorbereitet - das geistige Vakuum würde zum Spielball von chauvinistischen Ideologen und Demagogen.(12)

1.  alle Namen stehen in der japanischen Reihenfolge, Familienname vor persönlichem Namen.

2.  nach Ivy in: Miyoshi, Harootunian (Hrsg.), Postmodernism and Japan, Duke University Press, London 1989, S. 40

3.  Asada, Akira: Japan - Postmoderne des Kapitalismus?, taz 12.10.87

4.  Masayoshi Sugimoto, David L. Swain, Science & Culture in Traditional Japan, Tokyo 1989

5.  Maruyama Masao, Denken in Japan, FfM 1988, S. 36

6.  zitiert nach Kenneth D. Buttler, Typoscript, 1987, S. 5ff.

7.  Vergl. Nakane, Chie: Die Struktur der japanischen Gesellschaft, FfM 1985, jap.: Tate-shakai no ningen kankei, (Menschliche Beziehungen in der vertikale Gesellschaft), 1976

8.  eine poststrukturalistisch orientierte Theoriezeitschrift, an der u.a. Asada beteiligt ist, heißt sogar "Ur".

9.  nach Ivy, op.cit., S. 22 ff.

10.  nach Ivy

11. gelesen auf einem Tischventilator von Toshiba, mit Dank an Nora Bierich für den Hinweis.

12. nach Interview von Ralf Schnell, in: Merkur 8/90