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vorgetragen auf dem Symposium "Der Karlsruher Ansatz der integrierten
Wissensforschung", Uni Karlsruhe, 22.-23.2.02
Ich möchte Sie bitten, sich eine gewaltige mähdrescherartige Maschine vorzustellen , die sich in den Regenwald hineinfrißt. Die Bäume, die sie vorne frißt, kommen hinten als Bretter heraus. Frißt sie dabei auch Waldfrüchte, kommen hinten Gläser mit Ananasmarmelade heraus. Frißt sie pharmakologische Pflanzen, kommen hinten Patente heraus. Die Bewohner des Regenwalds mögen um die Wirkraft dieser Pflanzen seit Generationen gewußt haben, jetzt ist es "geistiges Eigentum" eines multinationalen Pharmakonzerns. Der sagt: 1. Die spielen nicht nach unseren Regeln, sie hätten ihr Wissen halt selber patentieren müssen.(1) 2. Wir haben das primitive, vorwissenschaftliche Rohwissen angereichert mit 2000 Jahren Wissenschaft, Technologie und Industrie. Einen Segen, den vorher nur ein paar Eingeborene kannten, bringen wir der ganzen Menschheit gegen einen entsprechenden Obolus, versteht sich. Weshalb die Locals in dem, was die Maschine von ihrem Land übriggelassen hat 1. ihre Heilkräuter nicht mehr anbauen dürfen, ohne Lizenzgebühren zu zahlen, und 2. ihre Kräuter nicht mehr auf dem Markt verkaufen können, ohne sich der "Produktpiraterie" schuldig zu machen. Der Regenwald steht für das Unland, engl. waste, herrenloser Grund und Boden. Es ist auch das Motiv des amerikanischen Wilden Westen, und zwar in der Form des enclosure movement im 19. Jahrhundert, dem Abstecken von Claims, ins Größenwahnsinnige gesteigert durch die Erfindung des Stacheldrahts. Gemeint ist auch das Echo dieses Motivs im Internet, ein free-for-all, in dem heute die eCommerce-Unternehmen ihren digitalen Stacheldraht ausrollen. Anklingen soll darin ferner ein viel früheres Konzept von unnutzbarem und deshalb von niemandem beanspruchtem Land, das von einem Klan oder einem Dorf erschlossen wird, die dadurch einen Kollektiveigentumstitel(2) daran erwarben, die Allmende. Zu Hause, dort wo die Bretter, die Ananasmarmelade und die Patente landen, die die Maschine "geerntet" hat, labt sie sich im Schlaraffenland des öffentlichen und des gemeinfreien Wissens (engl. public domain). Sie mästet sich an dem, was allen gehört, dessen ausschließliche Verfügungsrechte verfallen sind, an der gemeinsamen kulturellen Vergangenheit. Sie frißt "Alice im Wunderland", hinten kommt ein digital rights management-kontrolliertes eBook raus.(3) Sie frißt öffentliche Plätze und scheidet Malls aus. Vorne öffentliche Bibliotheken rein, hinten Hochsicherheitskaufhäuser für Content raus. (Dies ist einer der skandalösestes Punkte der aktuellen EU-Urheberrechtsrichtlinie:(4) das Verbot von digitalen Volltextbibliotheken im Netz und die Kettung digitaler Werke an besondere "Terminals". Dafür und es gibt noch andere gute Gründe sollten wir, Bürger, Bibliotheksnutzer, Internet-Nutzer, die Richtlinie dem europäischen Gesetzgeber eigentlich um die Ohren hauen!(5)) Die Maschine frißt Museen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk(6) und die Universitäten.(7) In den USA bezahlen Sponsoren Hochschulprofessoren dafür, dass sie Product-Placements in ihren Vorlesungen unterbringen.(8) Für diejenigen, die die Maschine steuern, verdanke ich Spinner den Namen: die "Datenherren".(9) Ein ebenso ansprechender, evokativer wie präziser Begriff: Es geht genau um Herrschaft über Daten. Und mehr noch, über alles was mit ihnen in Berührung kommen könnte: das Internet, unsere PCs, unsere Köpfe. Soviel zunächst zum Wissenskapitalismus. Als ich diesen Vortrag schrieb, kam mir kurz die Idee, zur Überleitung an dieser Stelle Asterix und Obelix zu zitieren: "Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten." Ich verwarf die Idee als kindisch, habe mich aber aus gegebenem Anlaß entschlossen, sie doch zu bringen. Les Éditions Albert René, Eigentümerin der Markenrechte an Asterix & Obelix verklagte vor kurzem den Betreiber von Mobilix.org, eine der renommiertesten Quellen zu freiem Unix auf mobilen Geräten (Laptops, PDAs, Mobiltelefone), wegen Verstoß gegen ihre Markenrechte. "Mobilix" gleiche "Obelix" so sehr, dass es zu einer Markenverwechslung kommen könne. Streitwert: eine Viertel Million Euro oder sechs Monate Gefängnis.(10) Das Beispiel zeigt einerseits, zu welchen Absurditäten sich ein Verständnis von Wissen, Information, ja Wörtern als Eigentum versteigt: die Berührung des gierigen Midas verwandelt alles in Gold. Andererseits stehen Asterix & Obelix hier natürlich für das genaue Gegenteil: für eine Gruppe von Leuten, die sich vermeintlich 'kontrafaktisch', denn außer besagtem gallischen Dorf verfügt niemand über Zaubertrank gegen eine Übermacht auflehnen, sich der flächendeckenden Kontrolle der Römer / Datenherren entgegenstellen, die der Überzeugung sind, dass, wenn sie ihr Wissen z.B. Software freimütig mit anderen teilen, sie am Ende nicht ärmer, sondern reicher sein werden.(11) Nennen wir sie die Wissenskommunisten. Das Bild eines Dorfes ist geeignet, den Gemeinschaftscharakter zu beschreiben: eine Community, die gemeinsam Wasteland wie Sümpfe und Wälder urbar macht, den digitalen Acker bestellt, ihn vor Trittbrettfahrern und Strauchdieben schützt und abends um's digitale Lagerfeuer sitzt und sich Geschichten über vergangene Heldentaten im Kampf gegen die Mähdrescher erzählt. In anderer Hinsicht wird die Vorstellung einer räumlichen Einheit dem Phänomen einer weltweit verteilten und über das Internet vernetzten Gruppe von Menschen nicht gerecht. Als Gegenbild zum industriellen Wissensmähdrescher möchte ich daher ein neuronales Netz aus revolutionären Zellen vorschlagen. Selbst manch einer unter ihren Protagonisten wäre überrascht, das zu hören, aber es besteht kein Zweifel, sie sind die Avantgarde des Cyber-Kommunismus. Auch den Begriff "Wissenskommunismus" verdanke ich Spinner, der diesen Schatz bei Robert Merton gehoben hat. Sie wissen: die CUDOS-Säulen des wissenschaftlichen Ethos: Kommunismus, Universalismus, Desinteressiertheit und Organisierter Skeptizismus.(12) Ich möchte Ihnen einige Absätze aus Mertons "Sociology of
Science" vorlesen, aus dem kurzen Passus unter der Überschrift "Communism".(13)
Und wie Sie wahrscheinlich bereits ahnen, werde ich mir dabei einige Freiheiten
herausnehmen.(14)
Mit den Hackern, die das Copyright verwenden, um sicherzustellen, dass ihre Werke frei zugänglich bleiben, spielt Merton natürlich auf die GNU General Public License (s.u.) an ;-) Man möge mir den Spaß verzeihen, der Text könnte etwas weniger gewählt und altmodisch tatsächlich von Richard Stallman, dem Gründer des GNU-Projekts und Kopf der Free Software Foundation,(19) stammen.(20) Und auch die Strategien in Bezug auf geistiges Eigentum, die Merton vor 60 Jahren diskutiert, sind heute brandaktuell in beiden Sondermilieus von Wissenschaft (s. das im Februar in Kraft getretene Hochschulpatentgesetz, das auf die "systematische Erschließung von wirtschaftlich verwertbaren Ergebnissen der Forschungsarbeit" (Edelgard Bulmahn) zielt(21)) und freier Software (das Damoklesschwert der Software-Patentierbarkeit, das über Europa hängt, sowie Überlegungen zur Freipatentierung als letzter Verteidigungslinie(22)). Der Spaß hatte auch den Zweck, auf die These Spinners zu reagieren, Mertons Wissenskommunismus sei ausschließlich auf besondere, nämlich wissenschaftliche Wissensarten und Wissensträger beschränkt. Die textuelle Engführung hat, denke ich, gezeigt, dass er ebenso gut die offene kooperative Wissenskultur der freien Software beschreibt ohne dass zu vermuten ist, dass irgend einer ihrer Protagonisten Merton gelesen hätte. Die Frage ist nicht, ob "die Wissens-Allmende eine gute, sachgerechte und für das Informationszeitalter wiederbelebbare Antwort ist."(23) Es geht nicht um ein theoriegeborenes Experiment, das man einmal durchführen könnte, sondern um ein empirisch beobachtbares Phänomen. Als solches ist es eine Antwort. Der Trick ist jetzt, herauszubekommen, auf welche Frage. Das neuronale Netz spannt zwischen seinen Zellen einen Freiraum auf. Anders als die Eingeborenen im Regenwald kommen die meisten, wenn auch keineswegs alle, am Netz Beteiligten dorther, wo die Datenherren ihren Sitz haben. Sie kennen die Spielregeln und können sie zur Verteidigung ihrer digitalen Allmende gegen die Mähdrescher einsetzen. Sie schaffen auf den Schultern von Riesen(24) und mit eigener Kreativität etwas, das weder Privatbesitz ist noch öffentlich oder gemeinfrei, sondern Gemeinschaftseigentum. Und zwar Eigentum einer Produzentengemeinschaft. Wie das funktioniert, möchte ich mit Ihnen in der GPL, der GNU
General Public License anschauen.(25)
Die GPL hat zwei Seiten. Erstens stellt sie einen Hack, eine
Art Invertierung des Urheberrechts dar.
Und zweitens regelt sie im so gewonnen Freiraum das Binnenverhältnis
unter den Allmend-Genossen. Dazu gehören nicht die reinen Anwender
von Software unter der GPL, sondern Softwareautoren, die sie weiterentwickeln
und Distributoren, die sie z.B. auf CD unter die Leute bringen. Die Lizenz
regelt also die Beziehungen zwischen Produzenten. Die Freiheit, die Software
anzuwenden, erwähnt die GPL nur en passant.
Die Nutzungsfreiheiten der Autoren und Distributoren sind an Bedingungen
geknüpft. So müssen die Software selbst und von ihr abgeleitete
Werke zu denselben Bedingungen der GPL kostenlos an jedermann lizenziert
werden (Ziff. 2.a). Änderungen an Dateien müssen kenntlich gemacht
werden. Die Begründung liegt in der Reputationswährung, in der
die Arbeit von Programmierern ebenso wie die von Wissenschaftlern belohnt
wird:
Die Juristen unter Ihnen werden sich vielleicht dafür interessieren,
wie aus diesem Text ein bindender Vertrag zwischen den ursprünglichen
Urhebern, die ihre Software unter der GPL veröffentlicht haben, und
den Nutzern dieser Software wird, wenn doch jeder Mann und jede Frau sie
sich frei von einem öffentlich über das Internet zugänglichen
Server beschaffen kann.
Und wie diese Lizenz bei Verstoß wieder entzogen wird:
Die Motivation für das rechtliche Instrument GPL ist es, den freien Status aller freier und davon abgeleiteter Software-Werke zu sichern und das miteinander Teilen und die Wiederverwendung und kooperative Weiterentwicklung von Software allgemein zu fördern. (Vgl. Ziff. 10) Diese Motivation deckt sich mit der Mertons für den Bereich wissenschaftlicher Werke, nur dass er sie nicht in Form einer urheberrechtlichen Nutzungslizenz formuliert hat, sondern in der Form einer Ethik.(26) Am expliziten Kommunismus Mertons und am impliziten der GPL wird eine weitere wichtige Differenz zum klassisch marxistischen industrie- nicht wissensgesellschaftlich konzipierten Kommunismus kenntlich: Es geht nicht um Vergesellschaftung des Eigentums, sondern um eine common ownership innerhalb von Gemeinschaften. Pate steht also eher ein genossenschaftliches Modell, wie es sich in der politischen Theorie und Praxis des frühen 20. Jahrhunderts entwickelte, eher ein Anarcho-Syndikalismus als das Modell von Staatseigentum. Auch, wenn sie als Sondermilieus nicht beanspruchen, ein Modell für
das Ganze zu sein, strahlen sowohl Wissenschaft wie freie Software auf
die sie umgebende Gesellschaft aus. Spinner hat benannt, dass wesentliche
Bestandteile der wissenschaftlichen Wissensordnung in die Wissensverfassung
der Gesellschaft eingeflossen sind.
Wählt man zur Beschreibung der Eigentumsgemeinschaften von Wissenschaft und freier Software einen Begriff wie Allemendgenossenschaften, wird auch deutlich, dass es sich zwar um Sondermilieus in einer wissenskapitalistisch dominierten Umwelt handelt, dass ihre Konzepte von Freiheit, Eigentum und kooperativer Produktion jedoch sehr wohl auf andere Wissensmilieus übertragbar sind. Die Produktionsgenossenschaften der freien Software strahlen zunächst auf ihre Anwender aus. Software ist ja kein Konsumgut wie Hollywood-Ware, sondern Werkzeug. Text-, Bild-, Klangeditoren sind ebenfalls Produktionsmittel für andere Wissensgattungen. Die Frage der Übertragbarkeit aus den beiden Sondermilieus der Wissenschaft und der freien Software wird an vielen Stellen bereits bejahend beantwortet. Enzyklopädien,(28) Journalismus,(29) Wissensressourcensammlungen(30) und Bildungsmaterialien(31) werden in offener Kooperation erstellt und weiterentwickelt. Hier kommt die besondere Qualität des Computers zum "Empowerment" seiner Nutzer zum Tragen, zur Befähigung, neue Dinge zu tun. Der Computer ist ein Produktionsraum für Kreative. Während die Informatikindustrien ihre Kunden als "Nutzer" und "Anwender" ansprechen, betrachten die Datenherren der Rechte- oder Content-Industrien ihre Kunden als "Konsumenten" und "Verbraucher" (ungeachtet der Tatsache, dass Information durch ihre Rezeption ja gerade nicht verbraucht wird). Zwischen diesen beiden Perspektiven baut sich aktuell ein geradezu tektonisches Spannungspotential in den Fundamten des digitalen Wissenraumes auf. Was euphemistisch als "Konvergenz" bezeichnet wird, ist eher ein Clash of Cultures.(32) Wir dachten gerade, nach dem Ende des sowjetischen Großexperiments
sei der Kommunismus endgültig gestorben und mit ihm seine Binäropposition
zum Kapitalismus. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger. Aus der
Politik ist er verschwunden, nun taucht er im Herzen des Wissenskapitalismus
wieder auf. Der US-amerikanische Rechtsgelehrte James Boyle schrieb bündig:
"Geistiges Eigentum ist die Rechtsform des Informationszeitalters."(33)
Aber was genau ist "geistiges Eigentum"? Dazu Lawrence Lessig:
Wenn geistiges Eigentum ihre Rechtsform ist, dann liegt folglich eine Form von Kommunismus im Kern der Informationsgesellschaft. Diesen Kern auf der Höhe der aktuellen Kommunikations- und Wissensinfrastruktur zu entfalten, sind die Avantgarde der freien Software, ihre Kollegen in der Wissenschaft(34b) und ihre Nachfolger in anderen Wissensbereichen angetreten. Wenn Spinner betont, dass digitales Wissen auch Rechts-, Wirtschafts- und Kulturgut ist, stimme ich ihm völlig zu. Wenn er schreibt, das Generalthema sei keine Eigentums- und keine Herrschaftsfrage, sondern eine Frage der Wissensteilhabe,(35) würde ich umgekehrt sagen, gerade weil es um Wissensteilhabe geht ich bin völlig seiner Meinung, dass sie den Kern des Wissenskommunismus bildet , muß sie im Regelwerk des geistigen Eigentums abgesichert werden, und es muß im wissenspolitischen Raum den Mähdreschern der Datenherren etwas entgegengehalten werden. Die planen nämlich gerade ihren nächsten großen Coup: die Machtübernahme im Cyberspace, die Vorherrschaft über den Code-Raum mit Hilfe von Rechtekontrolltechnologien (Digital Rights Management (DRM)). Die EU-Richtlinie soll dazu ihr Ermächtigungsgesetz werden.(36) Freiheit ist immer prekär. Man besitzt sie nicht, man hat sie nur, indem man sie verteidigt. Wir haben immer noch die Wahl zwischen Kapitalismus und Kommunismus die Wissensgesellschaft bietet Potentiale für beide. Wir können wählen, ob wir uns von den Datenherren an die Wissensverwertungskette legen lassen oder ob wir in einer Wissensordnung leben wollen, die das Potential zum Empowerment durch die vernetzte Universalmaschine, die Befähigung zu kollektivem kreativem Wissensschaffen auf den Schultern unserer Wissensvorfahren kurz Mertons Ideal auf alle nur vorstellbaren Wissenmilieus verallgemeinert zur vollen Blüte bringt.
Fußnoten
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last modified 02-06-22