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Visuelle Argumentationen

Zur Eigenständigkeit technischer Bilder im Erkenntnisprozeß

Wolfgang Coy

Ein Kern wissenschaftlicher Tätigkeit besteht in der Überzeugungsarbeit: Eine Erkenntnis so aufzubereiten, daß andere ihr zustimmen - sie mit logischen Argumenten zu vermitteln, die möglicher Kritik begegnen. In der Gutenberg-Galaxis der modernen Wissenschaft nimmt dies vor allem die Form der wissenschaftliche Texte an. Freilich ist der gesprochene Vortrag, der zumindest ansatzweise eine dialogische Form verfolgt, vor allem in der Lehre nicht ausgestorben, doch gilt der Text als abschließende Form der Darstellung. Wissenschaftliche Texte sind in den Einzelwissenschaften nicht nur die Verkettung umgangssprachlicher Worte, sie sind wesentlich getragen von Fachsprachen, ergänzt durch formelhafte Notationen und durch Bilder.

Die Formelsprachen der Mathematik, der Logik oder in geringerem Maße der Chemie gelten als besonders präzise Notationen, die im Kern einer stringenten Syntax und Semantik verpflichtet sind. Idealtypisch kommt die korrekt angewandte Formelsprache der formalen Logik ohne weitere sprachliche oder bildliche Erläuterung aus, um aus Definitionen, Axiomen und Regelanwendungen neue Erkenntnisse in Form von Theoremen zu beweisen. Bilder werden dagegen in vielen Wissenschaften als eher nebensächliche, illustrative Elemente angesehen, deren logischer Status eher unsicher scheint, so daß sie in reinen Textwissenschaften wie etwa der Jurisprudenz, den Sprachwissenschaften oder der Theologie fast völlig fehlen. In der Mathematik und den Natur- und Technikwissenschaften haben Bilder stets eine essentielle Bedeutung behalten. Diese wird sie mit den modernen bildgebenden Verfahren, aber auch mit den digitalen Modellierungs- und Simulationsverfahren sogar weiter ausgebaut, so daß gelegentlich schon von einer Science of Imaging gesprochen wird.

Wesentlich wird diese Entwicklung durch die Digitalisierung von Texten und formalen Strukturen, aber auch mit multimedial aufbereiteten Bildern und Signalen vorangetrieben, die nicht nur eine gleichartige, im Kern binäre, Speicherung und Übertragung, sondern auch die programmierte Bearbeitung in Computern zulassen. Auf dieser syntaktischen Basis werden Bild, Schrift und Zahl, aber auch Töne, Bewegung, ja sogar Gerüche und Tastimpulse syntaktisch gleich behandelt – als Binärsignale. Die Integration dieser der unterschiedlichen medialen Formen wird somit auf der syntaktischen Ebene des Computerprogramms oder des multimedialen Dokuments möglich, die semantischen und pragmatischen Differenzen bleiben freilich weiter bestehen. Es ist nötig, diese Differenz in Bezug auf die argumentativen Leistung in der wissenschaftlichen Kommunikation zu klären.

An Hand der argumentativen Verwendung von Bildern läßt sich eine Differenz zwischen Bildern und Texten bzw. Formeln aufspüren, die sich aber nicht als Unterordnung der „Illustration“ unter den leitenden Text erschöpft. Im (natur-)wissenschaftlich-technischen Kontext tragen Bilder eigenständig zum Argumentations- und Erkenntnisprozeß bei. Dies wächst mit dem instrumentellen Aufwand, der seit der Erfindung der Fotografie und anderer autografischer Aufschreibesysteme enorm angewachsen ist und der mit dem umfassenden Einsatz von interpretativen Computerprogrammen Aufnahmetechniken ermöglicht, die ohne solche Massendatenverarbeitung nicht realisierbar waren. Parallel zur Erfindung neuer Abbildtechniken wachsen die Möglichkeiten der visuellen Konstruktion mittels Plänen und Modellen, die nicht nur statische Visualisierungen zulassen, sondern auch zu dynamischen Simulationen auf dem Bildschirm erweitert werden können.

„Technische Bilder“ sind sicher abhängig von den jeweiligen Verwendungskontexten her zu unterscheiden. Die unterschiedlichen Wissenschaften und Teilwissenschaften stellen unterschiedliche Anforderungen an die Qualität, Güte und Form der zu verwendenden Bilder. Es scheint weiterhin nützlich, „Technische Bildern“ von ihrer Erstellung her zu differenzieren. Zu unterscheiden wären dann die instrumentell vermittelten, abbildenden Darstellungen wie beispielsweise Fotos, Filme, Computer-Tomografien oder Radarmessungen von den planend erzeugten Bildern, wie etwa Landkarten, geometrischen Konstruktionen, Funktionsschemata oder Schaltplänen, auch wenn einige bedeutende Klassen von technischen Bildern zwischen diese grobe Abgrenzung geraten, wie z.B. die „Zeichnungen nach der Natur“ in Humboldts Kosmos oder in Pilzhandbüchern.

Schließlich lassen sich technische Bilder von ihrer Verwendung her unterscheiden, nämlich als Illustration textlich beschriebener Sachverhalte oder als eigenständige, argumentativ verwendete Visualisierungen. Auch dies ist eher ein Kontinuum unterschiedlicher Verwendungen als eine strikte Trennungslinie.

Beim Einsatz bildgebender Verfahren werden ebenso wie beim Konstruieren der Kontext und die relevanten Merkmale ausgewählt. Es wird mehr oder minder virtuos, mehr oder minder bewußt ein Okhamscher Schnitt der Auswahl gezogen. Bei der Bildkonstruktion in Plänen oder Schemata ist dies offensichtlich, aber es gilt auch bei den autografischen, bildgebenden Verfahren. Bei diesen entsteht ein zusätzliches Problem: Die Relevanz des Abgebildeten unterliegt nicht nur der Auswahl durch den Autor oder Experimentator, sondern auch der Relevanzbewertung durch das Abbildungsinstrument, sei es eine Kameraoptik oder ein Bildverarbeitungsprogramm der Computer-Tomografie oder des Side Aperture Radar. Um die Argumentationskraft bildgebender Verfahren erklären, ist also ebenso zu klären, ob die relevanten Aspekte des Abzubildenden erfaßt sind, und es ist zu klären, in welcher Weise das Abbildungsinstrument die relevanten Aspekte betont, abschwächt oder anderweitig verändert.

Zur Bewertung der Argumentationskraft von Bildern ergeben sich damit eine Reihe von Forschungsfragen, wie z.B.