Zeitgeistesgegenwart heißt, am Rande lesen, Blicke aus dem Augenwinkel werfen, die Peripherie zum Zentrum der Aufmerksamkeit machen, sich verführen, sich auf Abwege führen lassen. Da nichts mehr mit gutem Grund als Zentrum (z. B. des wissenschaftlichen Interesses) deklariert werden könnte, gibt es ohnehin nur noch Abseitiges. Nur so, nur bei müder Abwesenheit, sieht man das Wandern des Kathodenstrahls und nicht das vermeintlich ruhig stehende Bild. Dabei geht es nicht um einen neuen Blick in die Tiefe, hinter die bloße Erscheinung der Dinge. Die aufblinkenden Punkte bilden ja gerade die reine Oberfläche. Nur am Rande, nämlich in den Danksagungen diverser neuerer Bücher, findet man Anzeichen für Veränderungen, die Inhalt wie Produktionsform auch der vorliegenden Arbeit betreffen. Immer häufiger erwähnen Autoren dort nicht nur ihre Sekretärin und die liebe Verwandtschaft, sondern auch namentlich ihr Textverarbeitungsprogramm.(1) Den Computern unter meinen Lesern wird das nicht einmal ein Schulterzucken der Genugtuung entlocken. Den anderen, auf altmodischem Kohlenstoff basierenden, sollte diese Art der Anthropologisierung von Maschinen zu denken geben. Der künstliche Mensch aus dem 13. Jahrhundert und der aus dem 20. setzen--mit ihren eigenen Worten--die Eckpunkte des Themas. Mit >emeth< (Wahrheit) und >meth< (Tod), zugleich Signifikanten und Signifikate, sind die Determinanten ausgesprochen, die auf immer mit dem Projekt verbunden bleiben. Eckpunkte, aber nicht als historistische Anfangs- und Endpunkte, sondern als Grenzmarken eines Noch-nicht und eines Nicht-mehr, die in die Zeit projiziert werden, die aber an jedem einzelnen Raum-Zeit-Punkt wirksam bleiben, wie Vorahnung und Nachgeschmack, wie Traum und das Erwachen im Schlaf zu einem anderen Traum. Das Thema ist ein theologisches. Das wissen beide, wenn es auch nur der eine ausspricht. Mytho-Logos wie Techno-Logos sind Weltschöpfungskraft, sind das leibhaftig gewordene, göttliche Wort. Der Mensch ist wesentlich Autor. Er nimmt sich selbst als Ur-Sache, und indem er sich kopiert, wähnt er, sein eigener Urheber zu sein. Weil der künstliche Mensch ihn vom Makel des Gewordenseins (G. Anders) befreit, ist dieser allein Ziel jeder >Selbsterhaltung< und letztgültiger Beweis seiner Apotheose. Die beiden sprechen also auch über sieben Jahrhunderte und über die Köpfe der angesprochenen Menschen hinweg miteinander. Ohne mich einmischen zu wollen, glaube ich, daß sie sich genau verstehen. Die Isomorphie zwischen mythischem und technischem Text läßt vermuten, daß beiden etwas Gemeinsames zugrundeliegt, ein ROM im untersten Teil unseres Arbeitsspeichers gewissermaßen. Eine solche Klammer oder Durchlauf-Figur soll im folgenden immer wieder versucht werden. Aus dem kreisförmigen Drumherumreden--wobei der Radius sich aus den beiden Vorgaben errechnet--ergibt sich der Aufbau eines Amphitheaters. Eingezirkelt wird das leere Zentrum. Die Bänke sind voll besetzt, doch jeder erwartet etwas anderes: ein grandioses Schauspiel--Parabel oder Tragödie--der eine, der andere einen Wettkampf auf Leben und Tod. Wenn die Künstliche Intelligenz (KI) denn im Zentrum der Uberlegungen steht, so in dem Sinne, wie im Labyrinth die Leere des Zentrums durch einen Springbrunnen oder eine Statue ausgefüllt wird, die kein Geheimnis bergen. Der Reiz liegt im Weg. Keine andere Techno-Form trägt in dem Maße das Labyrinth in sich wie die >K & I<-Technologien-- als Metapher und als Anwendung, vergleichbar nur mit der Wissensmaschine Bibliothek. Das Lab,vrinthische war vormals in der Natur angesiedelt, im Körper, im Spiel. Dem stand die Klarheit und Abwägbarkeit der Maschine gegenüber. Mit dem Computer kehrt das Symbol des Rätsels, des mythischen Durchgangs und der Wiederkehr inmitten der vollständig determinierten Maschine wieder; eine Architektur zu weiblichen Ehren (Urmutter, Aphrodite, Artemis, Persephone) inmitten männlicher Technologie.(2) Nach der Klassifizierung, die Eco vornimmt,(3) handelt es sich hierbei um rhizomatische Labyrinthe, da sie potentiell unendlich sind und da sie ihren Benutzer unmittelbar zu der Erkenntnis des Satzes führen, »daß es unmöglich ist, nur eine Geschichte zu haben«, Labyrinthe also, die sich auch in der Zeit erstrecken. (Am augenfälligsten beim Computerspiel »Time Zone«, das dem Benutzer die Versatzstücke der Geschichte als Material zur Neugestaltung präsentiert). Explizite Labyrinthe finden sich bei Spielen, Text-Adventures und Environments.(4) In die Computer-Spiele ist das Labyrinth als Grundstruktur eingegangen. Es erschließt sich dadurch, daß man sich in ihm bewegt. Die Perspektive ist also die der Maus, nicht die des Versuchsleiters, der sich über sein Experiment beugt. Im Labyrinth lauern Gefahren, Aufgaben sind zu bewältigen, Puzzleteile zusammenzutragen. Als unverzichtbares Klischee scheint sich die Hauptaufgabe des Spielers herausgebildet zu haben, die Menschheit vor der Vernichtung durch das Böse, vor der Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes zu bewahren. Die menschengemachte, unüberschaubar verzweigte Struktur des Labyrinths
zeigt sich auch in Netzen und Systemen, die eine gewisse Größe
überschritten haben. Durch die entlegenen Gänge eines Frühwarnsystems
bspw. kann, nach eigenem Bekunden des amerikanischen Verteidigungsministeriums,
kein Mensch mehr einen roten Faden legen. »You've found your way
in. But is there a way out?«(5)
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