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Vorab 

Grau und häßlich sitzt vor mir das tapfere Schneiderlein.(1) Da hast du dich also mit der Anmaßung deiner Macht gegürtet, hast treuherzig der Welt den kleinen Sieg eines biederen Schneiders kundgetan und dich aufgeplustert. Und die Welt mißversteht--als Komplement dazu--in ihrer Gewaltlogik die Bedeutung deiner Worte. Am Anfang deines Siegeszuges stand also die Schrift in ihrer Differenz zur Tat. Weil die Rede gegen die Natur versagte (»Die Fliegen aber, die kein Deutsch verstanden ... «), hast du deine Vormacht mit Gewalt behauptet. Mit der Aufschrift auf deinen Körper hast du dich zur Kultur erhoben, die durch List immer wieder Riesen, Einhorn und Wildschwein besiegt. 

Doch deine Stellung unter den Menschen beruht auf der Wirkung der Schrift allein. Schlafend, also ohne Rede und Tat, wardst du zur Litfaßsäule deines »Siebene auf einen Streich«. Und da Herrschaft sich schon immer gern die überlegene Gewalt an ihre Seite holte --wenn auch mit der Ahnung, daß die Unterwerfung zuweilen nicht gelingt (»Der König wäre ihn gern wieder los gewesen«)--ward dir Erfolg beschieden. 

Noch ist deine Stellung bedroht. In der Hoffnung auf deinen Tod schickt der König dich in den Kampf mit dem Einhorn. Es hat seiner Herrschaft schon viel Schaden angerichtet. Weil es spürt, daß du, der Schneider, ihm den Garaus machen willst, springt das Einhorn ungestüm auf dich los. Erst bietest du dich zum Opfer dar, dann weichst du geschickt aus. Das Horn verfehlt sein Ziel. Sein eigener Angriff setzt das Einhorn gefangen. Da ist es dir ein leichtes, es zu binden, das Horn mit der Axt aus dem Baum zu schlagen und es gefesselt und entzaubert in den Stall des Königs zu führen. 

So hast du dir denn durch das Gewaltbegehren der Lesenden und trotz deiner niederen Herkunft die Hälfte des Königreichs (und meines Schreibtisches) erobert. Die andere Hälfte des Himmels gehört nicht dir noch dem senilen König zu. Das lachende Einhorn, das noch in deinen unterirdischen Verliesen die Wiederverzauberung bewirkt, wird es sich nehmen. 
 

1. Schneider is a registered trademark of Schneider Rundfunkwerke, Germany, und der Vertrieb des Amstrad-Computers, auf dem dieses Buch geschrieben wurde. Vgl. weiterhin Gebrüder Grimm