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Geschlossene Gesellschaft
Mediale und diskursive Aspekte der "drei Öffnungen" Japans
Volker Grassmuck

 
 
 

 

 

 

Der Otaku

 

 

Der Otaku ist - ganz klassisch(1) - ein zurückgezogenes, scheues Wesen, das monomanisch einem Interessengebiet nachgeht, in dem Bestreben, dieses vollkommen zu beherrschen, darin Meisterschaft zu erlangen und dafür nur zu bereitwillig den Preis zu zahlen, alles andere völlig auszublenden; der Wizard, der Hacker, der Fachidiot; das 'operativ geschlossene System'. Um Maturana zu paraphrasieren: Der Otaku ist das Resultat eines ontogenetischen Driftens von Einheiten, die um ihre eigene Dynamik von Zuständen zentriert sind.

'Otaku' hat eine spezifische Wortgeschichte in der japanischen Jugendkultur. Inzwischen organisieren unter diesem Namen (mit den zu erwartenden Brüchen im Transfer) Jugendliche in aller Welt ihre Selbst- und Fremdreferenz. Sammler, Bastler, Eigenbrötler, schrullige Figuren, die sich monomanisch in eine Sache versteigen, sich Anschlußkommunikationskontexten entziehen, hat es immer gegeben. Doch als sozialpsychologische Figur ist der Otaku erst möglich mit dem Versickern der Verbindlichkeit von Sozialisationsumgebungen. Selbst die hautnahen Wirklichkeitsproduktionsmaschinen wie Familie und Arbeit werden kontingent. Otakus leben z.T. bei ihren Eltern, aber kommunikationslos. Sie machen keine Karriere, sondern Jobs. Jede Zuordnung zu sozialen Zusammenhängen wird optional. Das 'operativ geschlossene System' als Endprodukt sozialer Desintegration lebt unter dem Motto "Allein aber nicht einsam".

Der Otaku kommuniziert aus seiner Monade heraus sehr wohl mit Gleichgesinnten. Kerngruppe ist der 'Zirkel.' Dem Popularkulturforscher Kyoichi Yamazaki zufolge wäre ihr Kommunikationssystem besser als Netzwerk zu bezeichnen, denn als Community.(2) Auch innerhalb dieser Kanäle ist ihre Kommunikationsweise nicht interaktiv. Ihre Äußerungen erlauben keine Anschlußkommunikationen, außer einer Überbietung durch neuere oder noch esoterischere Informationen.

Die hauptsächlichen Unterrubriken des Otaku sind der Sammler, der Fan, der Spieler und der Hacker. Ein neues sammlungsgeeignetes Phänomen (beispielsweise die Telephonkarte(3)) tritt auf. Aus anderen Sammler- und Nicht-Sammlerkreisen differenziert sich daran ein neues System aus, formt seine Identität durch Abgrenzung von System und Umwelt. Es bilden sich eine dem jeweiligen Gegenstandbereich angemessene eigenständige Sprache und Operationen; ein eigenständiges Weltwissen mit einer Taxonomie und Axiomatik der Welt. In jedem Sammelgebiet (gleich ob Briefmarken, Orangenpapierchen oder Telephonkarten) spiegelt sich, wie in dem Bruchstück eines Hologramms, die ganze Welt. Besser als von Spiegeln spräche man von Filtern, durch die aus dem Kontinuum der Erscheinungen das auf das eigene Spielbrett fällt, was 'paßt'. Neben Kopplungen durch Präsenzkommunikation (Stammtische, Vereine, Messen), treten konstitutiv Medien für die Telekommunikation (Zeitschriften, Mailinglisten, Websites). An diesem Beispiel wird man auch leicht erkennen, daß ein Funktionsbegriff als Grundlage für eine derartige Ausdifferenzierung wenig sinnvoll ist. Telephonkartensammler haben keine 'Funktion' für 'die Gesellschaft'.

 

 

1. Vgl. Grassmuck 1993; vgl. auch Beineix/Bastide/Barral 1993. Die wichtigste Neuigkeit aus der japanischen Otaku-Welt ist Okada Toshio. Nach der letzten Phase, in der Taku Hachirô mit dem kimochi warui-Stil seiner Illustrierten-Kolumnen und TV-Shows und der Kindermörder Miyazaki das Bild der Otaku bestimmten, haben sie jetzt ein Sprachrohr auf höchster Ebene erhalten. Okada hat an seiner Alma Mater, der Tokyo Universität, immens populäre Seminare über den 'Otakismus' gehalten, eine "Einführung in die Otaku-Forschung" [Okada 1996] veröffentlicht und hat Pläne, einen Otaku-Fernsehkanal zu starten.

2. In einem Gespräch, Tokyo, Oktober 1996

3. Vgl. http://www.tkj.de

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last uptdate 03-01-02