<= Inhalt

Geschlossene Gesellschaft
Mediale und diskursive Aspekte der "drei Öffnungen" Japans
Volker Grassmuck

 
 
 

 

 

 

Kino

 

 

Ein Wendepunkt von der negativen Zensur hin zu einer positiven Durchsetzung von Propagandathemen im Kino war die Einrichtung des Filmkontrollausschusses unter dem Innenministerium und dem Bildungsministerium im März 1934. Nach einer sorgfältigen Studie der Filmgesetze anderer Länder schuf der Ausschuß im November 1935 die Großjapanische Filmvereinigung unter Beteiligung der größten Produktionsfirmen des Landes. Ihr erklärtes Ziel war die Erneuerung von Sitte und Moral und die Förderung einer "rationalen" Entwicklung im Film. Diese aus Ministerialbürokratie und Privatwirtschaft zusammengesetzte Organisation wurde zum lautstärksten Befürworter eines neuen Kinofilmgesetzes.

Die Filminspektionsvorschriften von 1925 boten den Zensoren bereits weitergehende Handhaben als gegen die Presse. 1937 kamen auch hier regelmäßige 'Konsultationstreffen' hinzu. Dabei teilten die Vertreter des Innenministeriums den versammelten Drehbuchautoren z.B. mit, daß der anhaltende Trend zum Individualismus durch den Einfluß von westlichen Filmen ausgelöscht werden müsse; daß sie den 'japanischen Geist' und die Schönheit des typisch japanischen Familiensystems hervorheben und die Opferbereitschaft der Bevölkerung fördern sollten; daß die Jugend, besonders die modern girls, mit ihrer Neigung zu verwestlichen, durch den Film umerzogen werden müßten und daß der Respekt gegenüber Vätern, älteren Brüdern und Vorgesetzten gestärkt werden solle.(1)

Im April 1939 wurde, angelehnt an die "Spitzenorganisation der Filmwirtschaft", die in Nazi-Deutschland Produktion, Vertrieb und Vorführung kontrollierte, das Kinofilmgesetz erlassen. Es schrieb vor, daß jeder in der Industrie, von Produzenten und Regisseuren über Kameraleute und anderem technischen Personal bis zu Schauspielern und Vorführern, eine staatliche Lizenz erwerben mußte. Schauspieler und Techniker mußten dafür einen vor allem ideologischen "Kompetenztest" bestehen, den die Großjapanische Filmvereinigung durchführte. Die Drohung mit der Einziehung der Lizenz und damit der Arbeitslosigkeit war ein effektives Disziplinierungsmittel gegenüber jedem einzelnen. Drehbücher mußten der Zensur vorgelegt und alle Änderungen während der Produktion bewilligt werden. Schließlich konnte die Vorführung verboten oder eingeschränkt werden, selbst wenn ein Film die Inspektion bereits passiert hatte. Außerdem ermöglichte das Filmgesetz dem Bildungsministerium, Kinos die Vorführung von "Kulturfilmen" vorzuschreiben. Die Kategorie von bunka eiga war vom Nazi-Konzept des "Kulturfilms" inspiriert und umfaßte Bildungs-, Dokumentar- und Propagandafilme, die vom Bildungsministerium gefördert wurden.(2) Das Innenministerium übte bis zum Kriegsende die Filmzensur aus, doch ab 1940 setzte das Informationsamt die Kriterien und übernahm allgemein die Führung in der Filmpolitik.

Wie bei allen anderen Institutionen war auch die Filmindustrie von der Konsolidierung betroffen. Im August 1940 informierte das Informationsamt die Spielfilmunternehmen, daß künftig kein einziger Meter Filmmaterial für Spielfilme entbehrt werden könne und legte nahe, daß die Industrie sich vollständig auf Kriegsberichterstattung umstellen solle. Es übernahm die Zuteilung des Filmmaterials und konsolidierte im April 1940 die Nachrichtenfilmfirmen in der staatlichen "Japanischen Filmgesellschaft", der im Mai 1941 die "Kulturfilm"-Abteilungen mehrerer Tageszeitungen und Filmstudios eingegliedert wurden.

Nach der Vernichtungsdrohung schlug ein Krisenausschuß der Spielfilmindustrie vor, ihre Unternehmen einer Kontrollvereinigung zu unterstellen, die Befugnisse über alle Aspekte von Produktion und Distribution haben sollte, solange nur ihre Firmen unangetastet blieben. Im August 1941 legte das Informationsamt seine Gegenforderung vor: die zehn Spielfilmunternehmen sollten zu zwei Firmen fusionieren, aus denen durch den Widerstand der großen Studios schließlich drei um Shôchiku, Tôhô und Nikkatsu wurden. Die Gruppe um Nikkatsu unterstand durch seine schwache Leitung dem direktesten Einfluß des Informationsamtes und wurde kurz darauf in Dai-Nihon Eiga, kurz: Daiei umbenannt. Jede der drei durfte nicht mehr als zwei Filme im Monat produzieren, statt wie zuvor durchschnittlich 25, dafür wurde die Zahl der Kopien erhöht. Die Spieldauer wurde auf 100 und bald auf 90 Minuten begrenzt. Den Filmvertrieb übernahm ein staatliches Monopol, in das beinahe 300 Distributionfirmen eingingen. Aus den 200 noch verbliebenen "Kultur"- und Bildungsfilm-Studios enstanden drei Firmen: die Wissenschaftsfilm AG, die Asahi Filmgesellschaft und die Dentsû Film AG, wobei die überwiegende Zahl der Ausgangsfirmen entweder verkauft wurden oder bankrott gingen. Die Kinos wurden in zwei Gruppen unterteilt, für die das Informationsamt jede Woche je ein Programm aus einer Wochenschau, einem "Kulturfilm" und einem Spielfilm zusammenstellte. Die fahrenden Kinovorführer wurden ebenfalls zusammengefaßt und erhielten großzügige staatliche Unterstützung, damit die Propagandabotschaften auch außerhalb der Städte verbreitet wurde. Anfang 1942 wurden schließlich noch die acht Filmimporteure zur Auslandsfilm AG zusammengeschlossen, doch diese hatten schon vorher wenig zu tun. 1940 war die Einfuhr von 120 Filmen genehmigt worden, 1941 waren es nur noch 71.(3)

Die japanische Industrie hatte bis in die 30er Jahre kein Kriegsfilm-Genre entwickelt. Im Ersten Weltkrieg verfügte der Film noch nicht über die Ausdrucksmittel. Den ersten bedeutenden japanischen Kriegsfilm drehte Tasaka Tomotaka 1939 im Angesicht des Krieges in China. Seinem Fünf Späher (Go-nin no Sekkôhei) fehlt überraschenderweise jede ultranationalistische Propaganda und jeder Heroismus. Tasaka zeichnete die Persönlichkeiten und den Alltag der fünf Männer in Nordchina, die sich ohne das Gefühl einer Mission in einem Krieg wiederfinden, den sie wie eine Naturgewalt erleben. Der Feind bleibt unsichtbar, aber die vernichtende Gewalt der Geschütze bildet den ständigen Geräuschhintergrund. Tasaka war einer der Regisseure, die die militaristischen Ziele ablehnten, aber nicht offen dagegen opponierten, sondern eine menschliche Perspektive aufzeigten.(4) Dieser und andere Spielfilme vor 1941 waren nichts als die Vorkriegsorientierungen auf Realismus (auch unter Verwendung von Dokumentaraufnahmen) und Humanismus in einem militärischen Setting.

Der japanische Dokumentarfilm begann zwar bereits im russisch-japanischen Krieg, und Mitte der 1930er wurden einige Filme in der Mandschurei gedreht, doch erst der Krieg gegen China brachte eine große Zahl von Produktionen in diesem Genre hervor. Unter den vom deutschen "Kulturfilm" beeinflußten Produktionen befanden sich auch einige, die sich mit ländlichen Themen in Japan befaßten, doch die Mehrheit drehte sich um die Kampfhandlungen und die besetzten Gebiete. Viele verwendeten Aufnahmen der Kameramänner von Heer und Marine. Tôhô richtete eine eigene Dokumentarfilmabteilung ein und eröffnete Kinos, die sich auf Nachrichten- und Kurzfilme spezialisierten.(5) Nach der Konsolidierung in den frühen 40ern produzierte die Japanische Filmgesellschaft alle Nachrichtenfilme und die Hälfte der "Kulturfilme". Asahi, Dentsû und Wissenschaftsfilm, aber auch einige staatliche Stellen produzierten die übrigen.(6)

Seit den späten 1930ern unterstützte ein neues Filmgenre die Antispionage-Kampagnen und trug seinen Teil dazu bei, den Verdacht gegen alle Ausländer in Japan, von Touristen über Techniker und Geschäftsleute bis zu Studenten und Missionaren, zu schüren. Weitere offizielle Propagandathemen waren "der Geist der Opferbereitschaft", "der Krieg an der Heimatfront", "die Erhöhung der industriellen Produktion" und mit Beginn der Luftangriffe auf Japan "seid bereit!".

Einige Regisseure wehrten sich - zwar nicht gegen die politischen Ziele des Militärregimes, aber gegen die Bevormundung durch Bürokraten. Sie ignorierten die offiziellen Progagandathemen. Ôzu Yasujirô setzte seine Studien über Familienkonstellationen fort. Goshô Heinosuke verwandelte die militärischen Drehbücher in Liebesgeschichten. Wiederum stellten Psychologie und Innerlichkeit einen kleinen Rückzugsort dar. Selbst einige Komödien waren bis 1943 noch möglich.(7) Als die Militaristen den Historienfilm instrumentalisierten, um die Größe des japanischen Geistes anhand der Tokugawa-Periode darzustellen, wichen einige Regisseure auf die Meiji-Periode aus. In den 'guten, alten Tagen' situierten sie sentimentale Tragödien im Theatermilieu. Kurosawa Akiras erster Film von 1943 erzählte die Geschichte von Sanshirô Sugata, dem Meiji-Urheber des Judo. Dem Informationsamt gefiel er, weil er den japanischen Kampfgeist zeigte.

Das Informationsamt des Kabinetts ging 1940 von einer Zensur unerwünschter Themen dazu über, aktiv Propagandathemen durchzusetzen. In dem Jahr verzeichneten die Kinos 440 Millionen Besucher. Im Durchschnitt ging jeder Japaner sechs- oder siebenmal im Jahr ins Kino. Abe Yutaka und Yamamoto Kajirô waren führend bei der Entwicklung eines ultranationalistischen Kriegsgenres. Abe drehte die ersten Luftkampffilme. Nikkatsus Yamamoto schuf zum ersten Jahrestag von Pearl Harbor das monumentale Seekrieg von Hawaii bis Malaya (Hawai-Marei oki kaisen) mit einem Etat von $ 380.000, während ein erstklassiger Kinofilm durchschnittlich $ 40.000 kostete.(8) Er zog mehr als 10 Millionen Menschen in die Kinos. Die Militärs hatten die vollständige Kontrolle über alles, was ihre Aktivitäten berührte, und unterstützten die Dreharbeiten aktiv.

Trotz vieler Ähnlichkeiten mit westlichen Propagandafilmen bemerken Anderson/Richie grundlegende Unterschiede. So beriefen sich die japanischen Filme nicht auf einen göttlichen Schutz während des Kampfes, sondern betonten die Bereitschaft zu sterben. Auch wurde selten die Rechtschaffenheit des Krieges begründet. Die Tatsache allein, daß der Kaiser und die Nation ihre Dienste erforderte, war eine hinreichende Motivation für ihre Soldaten. Statt der Superhelden vom Typus eines John Wayne wurden durchschnittliche Männer und Frauen gezeigt. Der Krieg wurde selten glorifiziert, seine Schrecken nicht verheimlicht.(9) Filme, die den Haß gegen den Feind schüren sollten, griffen häufig historische Motive auf, den Opium-Krieg gegen China, Schmuggeloperationen in Yokohama kurz nach der Landesöffnung oder die schmachvolle Rüstungsbegrenzung, die Großbritannien und die USA Japan auf den Marinekonferenzen auferlegt hatte. Was weitgehend fehlte, waren die karikaturhaften Darstellungen des Feindes, die fester Bestandteil amerikanischer Propagandafilme waren. Für eine Reduktion auf eine Figur des Schreckens waren die Japaner seit Jahrzehnten zu vertraut mit westlichen Menschen und Lebensstilen.(10)

Noch bis zum Dezember 1941 konnten amerikanische Unternehmen wie Universal, Paramount, Twentieth Century-Fox, Columbia und MGM ihre Filme in Japan vorführen lassen. Danach zeigten die wenigen, auf ausländische Filme spezialisierten Theater deutsche oder italienische Filme, doch selbst viele Nazi-Filme, in denen leichtbekleidete arische Maiden posierten, konnten die Zensur nicht passieren. Ab 1939 zeigten die Wochenschauen regelmäßig Aufnahmen von Hitler und Mussolini. Deutsch-japanische Koproduktionen begannen 1936 nach dem Komintern-Pakt. Sie hatten zum Ziel, "die Einheit des Nazi-Gruppengeistes und des rassischen Geistes der Japaner im Gegensatz zum schwachen Geist der Demokratien" zu zeigen. Die Neue Erde von Arnold Fanck und Itami Mansaku erzählte die Geschichte eines Japaners, der von der Demokratie zum japanischen Familiensystem konvertiert. Itami wehrte sich vergeblich gegen Fancks zahlreiche Mißinterpretationen des japanischen Lebens. Obgleich zwei Versionen hergestellt wurden, war das Ergebnis für die 'Geistereinheit', die Kooperation und die Kinokassen ein Desaster.(11)

In den besetzten Ländern förderte Japan eine gleichgeschaltete Filmindustrie. In Korea war die Filmlandschaft schon seit Beginn der Annexion von japanischen Firmen wie der Yoshizawa entwickelt worden. Trotz der Dominanz durch japanisches Kapital, Technologie und Ausbildung konnte sich in den 1920ern ein eigenständiger Stil entwickeln, der 'zwischen den Bildzeilen' gar eine Kritik an der Fremdherrschaft formulieren konnte, die den japanischen Zensoren entging. Mit dem Krieg gegen China setzten japanisch-koreanische Koproduktionen ein, die die "asiatische Brüderschaft" zum Thema hatten. 1942 wurde die koreanische Filmindustrie zu einem einzigen Unternehmen konsolidiert.(12)

In der Mandschurei wurden die ersten Filme 1923 produziert, als die Südmandschurische Eisenbahngesellschaft eine Filmabteilung etablierte. Es handelte sich um Propagandafilme, die Siedler und Touristen ins Land locken sollten. 1938 errichtete die Armee, wie später in allen besetzten Gebieten, eine Einheits-Film-Vereinigung, die pro Jahr zwei Dutzend Filme in chinesischer und japanischer Sprache produzierte. In den anderen von Japan besetzten Ländern existierte bereits eine Filmindustrie, die die Besatzer übernahmen und zu Einheitsorganisationen zusammenschlossen. In China, Indochina, Thailand, Burma, Malaya und Java verbannten sie amerikanische und britische Filme, zeigten japanische und produzierten lokale Filme, die auch in Japan vorgeführt wurden. Ihr durchgängiges Thema war die Freundschaft zwischen den Japanern und den eroberten Völkern, die in kürzester Zeit nirgends anders existierte als auf der Kinoleinwand. Durch den Ausbau der Infrastruktur, japanische Technologie und die Ausbildung lokaler Techniker, Kameramänner und Regisseure wirkte der japanische Einfluß in vielen dieser Länder weit über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus.(13)

 

 

1. Kasza 1988: 233

2. Ebd.: 234 ff.

3. Anderson/Richie 1982: 142 ff., Kasza 1988: 242 ff.

4. Anderson/Richie 1982: 126 f.

5. Ebd.: 146 f.

6. Kasza 1988: 247

7. Anderson/Richie 1982: 140 f.

8. Ebd.: 130 f.

9. Ebd.: 132

10. Ebd.: 134 f.

11. Ebd.: 148 f.

12. Ebd.: 150 f.

13. Ebd.: 151 ff.

back to vgrass's homepage
last uptdate 03-01-03