<= Inhalt

Geschlossene Gesellschaft
Mediale und diskursive Aspekte der "drei Öffnungen" Japans
Volker Grassmuck

 
 
 

 

 

 

Topoi des Nihonjinron

 

 

Die Periode von den späten 1970er bis Mitte der 1980er Jahre wird von einer Rhetorik, wenn auch nicht Praxis, der Abkehr von einer Referenz auf den Westen bestimmt. Die Zurechnung 'Modernisierung gleich Verwestlichung' wird zurückgewiesen und eine indigene, parallele Entwicklung Japans konstruiert. Vor allem der Vorstellung, die Moderne sei notwendig mit Individualismus gekoppelt, wird ein asiatisches 'Zwischensubjekt' als ein dem Individuum überlegenes Modell entgegengesetzt. Auch methodisch wird der westliche Universalismus abgelehnt. Japan sei mit japanischen Modellen und Methoden zu untersuchen.(1) In den 70ern werden Aoki zufolge Nihonjinron-Topoi zu Massenkonsumgütern.(2) "Begriffe wie vertikale Gesellschaft, Anlehnung und Intersubjekt-sein überfluteten die Medien. Wie Symbole einer wohlhabenden Gesellschaft wurden diese Begriffe benutzt, um die Einzigartigkeit sowie die Überlegenheit der Japaner und der japanischen Kultur zu zeigen. Sie verliehen den Japanern, von außen mit Ausdrücken wie 'economic animal' bezeichnet, inneren Trost."(3)



Das Tennô-System als Kulturgemeinschaft

Die Mechanismen von Abwehr und Affirmation treten in doppelter Form hervor. Die Krise der 60er Jahre leitet einerseits das technologische Projekt der Informationsgesellschaft ein, andererseits bringt sie einen Begriff der Kultur wieder hervor, den Japan nach der Kapitulation an sich amputieren mußte. Mishima Yukio kritisierte in dem vieldiskutierten Aufsatz Bunka bôei ron (Zur Verteidigung der Kultur)(4) das herrschende Kulturprinzip, nämlich "die Tendenz, die Kultur vom Leben des blutigen Mutterleibs und vom Zeugungsakt abzutrennen und zu versuchen, sie aufgrund irgendwelcher erfreulicher humanistischer Erfolge zu bewerten." So werde Kultur "eine Art unschuldiges, pittoreskes Gemeingut der Menscheit wie der Springbrunnen auf dem Marktplatz." Das Nachkriegsjapan habe mit der amerikanischen Besatzungspolitik und der Leisetreterei der Kulturbürokraten das Kettenglied von Chrysantheme und Schwert gekappt. "Mittels vielfältiger Gesetze und politischer Maßnahmen wurden Quelle und Kontinuität des Lebens, das Kultur hervorbringt, hinter einen Damm gesperrt, alleine zu Stromerzeugung sowie Bewässerung genutzt und ihr Überlaufen verhindert." Es wurde "nur der nützliche Teil der bürgerlichen Moral betont und der schädliche Teil unterdrückt." Mishima wendet dagegen ein, daß "der Gedanke, Werte der Fürsorge und der Kultur kurzzuschließen, ein auf dem Humanismus der Massen beruhendes geheucheltes Prinzip der Kulturverehrung wurde." In der Nachkriegsdemokratie seien nur zwei Kulturen übriggeblieben, die "tote Kultur der Museen" und das "tote Leben des tiefen Friedens". Das gleiche Prinzip, Kultur als "Abstellkammer" aufzufassen, finde sich bei Regierung, Opposition (der sozialistischen Partei) und den Massen. Mishima lokalisiert seinen Gegner im Materialismus, in Falschheit, in Bürokratie und in der Ideologie des Kulturalismus. Der Realismus der Hochwachstumsphase habe die japanische Kultur "hypertroph" werden lassen.

Dagegen stellt Mishima einen Begriff von Kultur als "einer Art transparentem Kristall, durch den die Volksseele" sichtbar würde. Sie umfasse nicht nur Kunstwerke, sondern auch Verhaltensmuster. In Japan sei die Repräsentation von Kultur in Artefakten vergleichsweise schwach ausgebildet. Die Besonderheit liege in der Übertragung der Kulturformen auf Verhaltensmuster, deren Wesen die Vergänglichkeit sei. Japans Kultur unterscheide nicht zwischen Original und Kopie, wie sich z.B. am Ise-Schrein zeige. Jeder Tennô stehe zu Amaterasu-Ômikami nicht in einer Beziehung von Original zu Kopie.

Mishima fordert die Wiederherstellung einer kulturellen Ganzheit. Diese bestehe aus zeitlicher Kontinuität, "Tradition, Schönheit sowie Geschmack", und räumlicher Kontinuität, die die "Vielfältigkeit des Lebens" gewährleiste. Mit der Vereinigung von beiden entstehe die "Idee der Kulturgemeinschaft". Allein diese Idee könne der Ideologie Widerstand leisten. Sie setze absolute ethische Werte und schließe unterschiedslos alles ein. Die japanische Kulturgemeinschaft sei das Tennô-System. Das Tennô-System als Kulturgemeinschaft mit seiner "dreidimensionalen Struktur von Freiheit und Grazie" und als Quelle kultivierter Eleganz (miyabi) verkörpere die Ganzheit der Kultur. Diese existiere nicht in dem "flachen Konzept des Gegensatzes von Freiheit und Verantwortung", womit er Modernismus und Marxismus kritisierte. Da die Redefreiheit essentiell keinen Bezug zur vertikalen Ebene der Ganzheit der Kultur, das heißt der zeitlichen Kontinuität habe, lehnt Mishima die "Übereinkunft von Redefreiheit und repräsentativer Demokratie" ab.

Aoki bezeichnet Mishimas Kritik und Gegenentwurf als einen "repräsentativen Diskurs der damaligen Zeitströmung". Seine Abhandlung lasse die Wahrnehmung der Japanizität als Positivum "in größerer Frische erscheinen".(5)



Kontextualismus als überlegenes Modell

Hamaguchi Eshun führte den Begriff kanjin shugi (Intersubjekt-Sein, Kontextualismus) ein. In seinem 'Nihonrashisa' no saihakken (Die Wiederentdeckung der 'Japanizität', 1977)(6) kritisiert er, daß Japanizität bislang im Kontrast zu westlichen Modellen bestimmt worden sei, und behauptet dagegen, eine den Japanern eigene 'Autonomie' zeige sich unmittelbar in ihren Verhaltensformen und nicht erst im Vergleich zum Westen. Aoki bescheinigt ihm selbst jedoch eine "Unfähigkeit, sich vom westlichen Modell als Vorbild zu lösen".(7) Hamaguchi stellt der westlichen Autonomie des Einzelnen, die er als Egozentrismus, Selbstvertrauen und Beziehung zu anderen als Mittel zum Zweck charakterisiert, die Autonomie der Gemeinschaft entgegen, die auf gegenseitiger Abhängigkeit und gegenseitigem Vertrauen beruhe und den Ausdruck der Persönlichkeit des Einzelnen strategisch im Dienste der Homöostase des übergeordneten Systems (Familie, Regionalgemeinschaft, Organisation) einschränke. Nur die Darstellung des japanischen Ich sei nicht so offen ersichtlich, sondern nehme sozial hoch verfeinerte Form an. Er stellt die positive Bedeutung des ie- und des iemoto- (Meister-Schüler-Verhältnis in Ikebana, Teezeremonie usw.) Systems heraus. Die gemeinschaftliche Autonomie sei nicht nur einem modernen Leben nicht hinderlich. "Man kann sogar sagen, daß in einer Gesellschaft, deren systematische Verknüpfungen mehr und mehr zunehmen, die Möglichkeit einer funktional überlegenen Lebensführung gegeben ist."(8) Er faßt das Intersubjekt-Sein als eine asiatische, nicht allein japanische Eigenheit auf und verwendet "Asiat" und "Japaner" synonym, um sie gegen "Westler" abzusetzen.

Auf ganz ähnliche Weise argumentieren der Systemtheoretiker und Berater des früheren Ministerpräsidenten Nakasone Kumon Shunpei, der Nationalökonom Murakami Yasusuke und der Politologe Satô Seizaburô in ihrem vieldiskutierten Buch Bunmei to shite no ie-shakai (Die ie-Gesellschaft als Zivilisation, 1979).(9) Wie Hamaguchi stellen sie dem Individualismus ein Prinzip des Zwischenseins (aidagara shugi) gegenüber und lehnen gleichzeitig die Fixierung auf ein westliches Analysemodell ab. Durch westliche Voreingenommenheit, z.B. daß eine Gruppenorientierung notwendig zu autokratischen Gesellschaften führe, blieben Alternativen unsichtbar. Sie stellen die Industrialisierung in den Rahmen einer Geschichte der Menschheit und der Japans von seinen Anfängen an. Die ie- oder "Haushalts"-Gemeinschaft habe sich im 11. Jahrhundert in Ostjapan herausgebildet und sei zum Kern der japanischen Gesellschaft geworden. Neben dem ie-Muster sei die Dorfgemeinschaft (mura shakai) bis ins Nachkriegsjapan dominant. Sie beruhe auf Gleichheit und Einvernehmen aller Mitglieder. Macht entfalte sich in ihr im Hintergrund auf der Grundlage stillschweigender Prämissen unter Führung durch Höherstehende, deren Wille nach unten weitergeleitet wird. Es handelt sich hierbei offenkundig um den anti-urbanen Topos, den Hirata Atsutane und seine Schüler zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt hatten, nur daß Kumon/Murakami/Satô ihn bis ins ausgehende 20. Jahrundert fortschreiben. Japan habe sich vor diesem Hintergrund dank einer elastischen Anpassungsfähigkeit der Organisationsprinzipien nach dem ie-Muster eigenständig modernisiert, besonders auf der Ebene intermediärer Gruppen wie korporativer Unternehmen.

Sie nennen als mit der Industrialisierung untrennbar verbundene Sozialsysteme: ein hochentwickeltes Verteilungssystem, politische Einheit und moderne Bürokratie, Systematisierung von Erziehung und Wissenschaft, korporative Unternehmen und die Trennung von Arbeitsplatz und Familie - alles Strukturen, die sich bereits vor der Meiji-Erneuerung herausgebildet haben. Eine dafür notwendige Wertvorstellung sei instrumentelles Handeln. Individualismus hingegen sei entbehrlich, eine Industrialisierung auf seiner Basis resultiere vielmehr in Vereinzelung, Bildung von Nationalstaaten und Wirtschaften um des Wirtschaftens willen. In der Vorkriegszeit habe ein "trial-and-error-Prozeß" darauf gezielt, "unterschiedliche Prinzipien der europäischen und japanischen Gesellschaft zu synthetisieren, um sich zu industrialisieren." Das gruyndlegende Modell der Sozialbeziehungen der ie-Gemeinschaft sei dadurch "verfälscht" und "kompromitiert" worden, was sich in seiner "Brüchigkeit" erwiesen habe.

Die "Revolution", die durch die amerikanische Besatzung ausgelöst wurde, und die Transformationen, die sie bewirkte, betrafen nur die "äußeren Schichten des Denkens". Obgleich der Haushalt unter der Besatzung "demontiert" wurde, blieben die ie-Gesellschaft (als Gesellschaft qua Gemeinschaft) und die "grundlegenden Verhaltensmuster der Menschen" intakt und ersetzten die destruktiven Merkmale des sozialen Imaginären der Vorkriegszeit durch einen "funktionalen, ie-artigen, korporativen Körper." Auch nach Krieg und Besatzung habe die japanische Gesellschaft den "Schmeicheleien des Individualismus" widerstanden, weil sie sich in Analogie zum Dorf (mura) aus einer Vielfalt von ie-artigen Gruppen wie Unternehmen, Firmen, Hausgeschäften und religiösen Organisationen zusammensetzte. Was den Krieg überlebt habe, sei nicht ein "verfälschter Inhalt", sondern eine offenbar außerhalb des geschichtlichen Wandels gedachte "funktionale Form", die geeignet war, die "neue Mittelklasse" zu organisieren, die durch eine Vereinheitlichung der Einkommensverteilung, eine Homogenisierung der Lebensformen und eine "Mainstream"-Orientierung (chûryûka) des Lebensbewußtseins gekennzeichnet ist. Japans größeres Entwicklungspotential habe sich im Wirtschaftswachstum der 70er Jahre deutlich gezeigt. Die Autoren postulieren, daß das für die weitere Entwicklung der Industriegesellschaften notwendige System "eine Art Mischform darstellen muß, die weder rein individualistisch noch rein gruppenorientiert ist. Auf dem Weg hin zu dieser Mischform ist Japans Gesellschaft vermutlich den verschiedenen euroamerikanischen Gesellschaften gegenüber im Vorteil."(10) Sie sehen allerdings auch in Japan individualistische Tendenzen in Form von Vereinzelung vor allem unter Jugendlichen.(11)

Der Japandiskurs dieser Zeit relativiert somit weitgehend die Bedeutung der ersten 'Öffnung' Japans gegenüber der Relevanz von Kontinuitäten. Die Universalität beanspruchenden westlichen Modelle, vor allem der wirtschaftlichen Entwicklungsphasen, werden als relativistisch entlarvt. Neu ist, daß nicht nur eine Inkommensurabilität der japanischen Kultur beansprucht, sondern "das Eigene zum Universalen erklärt [wird], bzw. zu dem, was an sich als universal zu gelten habe".(12) Darin deutet sich zugleich eine Tendenz an, Japan in einen asiatischen Kontext einzuordnen, die sich in der Folgezeit noch deutlicher artikulieren wird.





Regierung Ôhira: Nach der Eroberung der Moderne das Zeitalter der Kultur



Murakamis und Kumons Konstrukte von Japanizität gingen unmittelbar darauf in die staatliche Grundlagenpolitik ein, als die Regierung Ôhira Masayoshi 1980 das "Zeitalter der Kultur" (bunka no jidai) als Leitvision für die 80er Jahre und hinein in das 21. Jahrhundert verkündete.(13) Auf dem ersten Treffen des von der Regierung zusammengestellten Expertengremiums im April 1979 erläuterte Ôhira seine Aufgabenstellung folgendermaßen: In dem Jahrhundert seit der Meiji-Erneuerung habe Japan rastlos und ohne zur Seite zu schauen das Ziel des wirtschaftlichen Wohlstands verfolgt. Heute habe es die Früchte geerntet, die "das großartige Wesen von Modernisierung und Industrialisierung nach dem Modell verschiedener europäischer Nationen" darstelle. Die daraus resultierende "nie dagewesene Freiheit und der Überfluß hat die Reflexion über die wichtige Seite des menschlichen Charakters angeregt, die unter dem Regime von Industrialisierung und modernem Rationalismus aus den Augen verloren wurde." Wenn sich Menschen einer Wiederherstellung von "warmen menschlichen Beziehungen in der Familie, am Arbeitsplatz und in den lokalen Regionen" zuwendeten, würden sie erkennen, daß "die auf dem modernen Rationalismus gründende materielle Zivilisation einen Sättigungspunkt erreicht hat und die Zeit gekommen ist, über die Moderne [Industrialisierung] hinauszugehen in ein Zeitalter, das die Kultur betont."(14)

In einer Zeit, die die Modernisierung gefordert habe, heißt es in dem Text, seien Ziele und Modell vom Westen vorgegeben worden, der "unsere traditionelle Kultur mißachtete und für uns Fortschritt und Standards und Ziele, die von anderen verfolgt wurden, festlegte."(15) Anders als die Vorkriegsdebatte strebt das "Zeitalter der Kultur" nicht nach einer "Überwindung der Moderne", sondern geht vielmehr von einer Meisterung oder "Eroberung der Moderne" aus, die in den späten 70er Jahren abgeschlossen worden sei. Nach Erreichen dieses Etappenziels gehe es in der neuen Zeit um die Installation einer echten "umfassenden japanischen Kultur", darum, in das Volk die Überlegenheit von spezifischen kulturellen Werten "einzupflanzen".(16) Für die Konfrontation mit dem Ende der Modernisierung sei es notwendig, die "besondere Qualität von Japans Kultur" systematisch neu zu bewerten.

An der folgenden Bestimmung dieser "besonderen Qualität" wird der zentrale Einfluß der beiden Kommissionsmitglieder Murakami Yasusuke und Kumon Shunpei und ihrer Theorie der ie-Gesellschaft deutlich. Der Bunka-jidai-Text konstatiert, die japanische Kultur widersetze sich den dem Westen zugeordneten Binäroppositionen, z.B. zwischen Gott und Satan, Gewinner und Verlierer, schwarz und weiß. Dagegen stehe in Japan eine zirkuläre Struktur, die mit Hilfe des Kinderspiels "Papier, Schere, Stein" evoziert wird, in der keines der drei Elemente überlegen ist und es keine absoluten Gewinner und Verlierer gibt. Aus dieser Tradition heraus hätten die Japaner einen totalistischen Holismus (zentaishugi), der das Individuum mißachte, ebenso zurückgewiesen, wie einen extremen Individualismus, der das Selbst als getrennt vom Anderen behauptet. Japans "kultureller Partikularismus" liege in seiner Sozialstruktur des Relationalismus (aidagarashugi), die sie u.a. in bewährter Manier ethymologisch ableiten aus Wörtern des Zwischen (ningen, nakama), der Teilhabe an einem Größeren (bun) und der bindenden Beziehungen (en).(17) Diese grundlegenden, historisch unwandelbaren und kulturell irreduziblen Beziehungen bestimmten, wie man sich innerhalb der Grenzen der japanischen Gesellschaft in Bezug auf andere zu verhalten hat, und hielten eine soziale Konstellation zusammen, die die Autoren als ie-Gesellschaft bezeichnen. Die Autoren entwerfen ein Bild der aktuellen Lage, in der der gewachsene Lebensstandard die Bedingungen für die "neue Mittelklasse" geschaffen habe, das Projekt der Moderne abgeschlossen sei und sich im "Zeitalter der Kultur" endlich die Freistellung von den Ungewißheiten des Wandels und den Launen der Geschichte verwirklichen werde.(18)

Harootunian liest diesen Text, der sich ja als programmatisches Politikpapier ausweist, als Re-Präsentatition einer politischen Ordnung im Simulakrum des Sozialen, wobei zugleich das Soziale effektiv eliminiert werde.(19) Der Vorkriegsdiskurs der "Überwindung der Moderne" richtete sich gegen Materialismus und Kommodifikation. Der von 1980 setzt auf einen Überfluß an Waren auf. Ging es damals um die Wiederbelebung noch spürbarer Traditionen, deren Auslöschung durch Modernisierung als Aspekt der Geschichte in allen Gesellschaften angesehen wurde, so geht es jetzt um die Neuerfindung von nihontekina mono, "japanisch-artigen" Dingen und Sozialbeziehungen, die eine "homogenisierte" Gemeinschaft absichern sollen, um das Ethos einer Ausnahmekultur, das auch Japans Status als "Wirtschaftswunderland" erklärt.(20) Bunka no jidai steht damit in einer Reihe mit zahlreichen Versuchen der Nachkriegszeit, einen Master-Code der sozialen Homogenität einzusetzen, der für alle Zeiten den Skandal der Differenz auslöschen soll im Namen einer "affirmativen Kultur", die fest in reifizierten Werten verankert ist. Am Ausgang aus der Geschichte kommt eine nationale Subjektivität ohne regionale, Klassen- oder gar Geschlechterunterschiede zu sich selbst. Die Staatsideologen maskierten damit, so Harootunian, die bürokratische Fantasie von einer Gesellschaftsorganisation nach dem Modell des japanischen Unternehmens, das, wie in der vorangegangenen Flut von Büchern über das 'japanische Management' als Topos etabliert, ohne Trennung zwischen Leitung, Angestellten und Arbeitern auskommt.

In the vacated space, the new age of culture declares a kinship with an imagined past from which it derives authority, and a separation from a history of cultural mistakes. This is no familiar dialectic, which, in its movement, ceaselessly incorporates moments of this past as it supercedes them in the itinerary toward the end of history. It is, instead, a truncated version and cynical closure which proclaims the end of the historical with the 'conquest of modernity', that is, the twilight of the Hegelian idol.(21)

Das System Japan schließt sich hier um den Kern eines wirtschaftlichen Erfolgs, der nach dem Modell des Westens und mit dessen Anerkennung errungen wurde. Rationalität, Wissenschaftlichkeit, Arbeitsteilung und ein politisches Management der Gesellschaft, also Produkte der Ausdifferenzierung, werden mobilisiert, um das daraus entstandene 'Gesamtsystem Japan' in ie-Gemeinschaft, Mittelklasse, Kultur zu homogenisieren, also zu entdifferenzieren.

In der ab Mitte der 80er Jahre von beiden Seiten mit teilweise äußerster polemischer Schärfe geführten Auseinandersetzung um Japans neue wirtschaftliche Vormachtstellung erlitt die Selbstgewißheit von 'Japan als Nummer eins' Einbrüche. Die doppelte Bewegung der Internationalisierung des 'japanischen Managementsystems' war nicht neu, zog jetzt jedoch stärkere Aufmerksamkeit auf sich: japanische Unternehmen verwenden im Ausland dieselben Strategien gegenüber ihren Arbeitnehmern wie zu Hause und ausländische Unternehmen versuchen, einzelne, wenn auch nicht unbedingt in Japan erfundene, so doch erfolgreich weiterentwickelte Managementtechniken zu übertragen (Zero-Defects-Production, Just-in-time-delivery, Rotation usw.). Die Schwierigkeiten, auf die beide damit stießen, wirkten zurück auf den japanischen Diskurs über seine Stellung und der Welt. Die westliche Forderung an Japan, sich nach den Standards des Westens zu internationalisieren, löste in den späten 80ern eine lebhafte Debatte aus, in der sowohl für eine 'Öffnung' wie für eine 'Abschließung' Japans plädiert wurde.

 

 

1. Für die Sprachwissenschaften s. Miller 1996

2. Zu Auflagenzahlen von Nihonjinron-Literatur s.a. Mouer/Sugimoto 1990: 86 f.

3. Aoki 1996: 84

4. In: Chûô Kôron, 1968; hier nach Aoki 1996: 77-80

5. Ebd.: 79

6. Hamaguchi Eshun, 'Nihonrashisa' no saihakken (Die Wiederentdeckung der 'Japanizität'), (orig. 1977) Kôdansha, Tokyo 1988; hier nach Aoki 1996: 81-84

7. Ebd.: 84

8. Nach ebd.: 82

9. Chûô Kôronsha, Tokyo1979; hier nach Aoki 1996: 85-89; Harootunian 1989: 82 f.; vgl. auch Mishima 1996: 114; Yamazaki 1994: 13 f.

10. Nach Aoki 1996: 88

11. Vgl. a. Murakami o.J.

12. Mishima 1996: 121

13. Bunka no jidai no keizai un'ei (Wirtschaftliche Verwaltung des Zeitalters der Kultur), Tokyo 1980; hier nach Harootunian 1989: 78 ff.

14. Nach Harootunian 1989: 79 f.

15. Ebd.: 80

16. Ebd.: 79

17. Ebd.: 80 f.

18. Ebd.: 80 ff.

19. Harootunian 1989: 65

20. Ebd. 86

21. Nach Harootunian 1989: 87 f.

back to vgrass's homepage
last uptdate 03-01-03