I&G Thomas Goldstrasz und Henrik Pantle


Computer während Weltkrieg Zwei

Abstract


Der Zweite Weltkrieg,

      heißt eine bekannte These des Berliner Ästhetikers Friedrich Kittler, sei für die Entwicklung des Computers notwendig gewesen. Sie steht im Programm seiner allgemeineren Vermutung, daß Unterhaltungsgeräte (also Medien) immer schon, sozusagen ihrem Wesen nach, mißbrauchte Heeresgeräte wären.
      Auf den ersten Blick, d.h. bei der ersten Lektüre von Grammophon Film Typewriter (GFT), scheint seine Rechnung auch ganz gut aufzugehen. Eindrucksvoll beschreibt Kittler darin, schwer pynchoninspiriert, den Krieg als ein Problem der Informationsverarbeitung, das die mediale Produktivität der Menschen erst ermöglicht.

      Hier trifft die Bolzsche Interpretation, vom Krieg als Vater aller Medien (Vgl. EGU: 130), Kittlers Kern: der Krieg befruchte die Geister und Systeme mit kleinen kommunikationstechnischen Kindern, und lockere das Geld dafür, daß sie groß und stark werden können. (Und ohne VaterKrieg keine KinderMedien; - sagt die Logik dieser Analogie).

      Einen Beleg, den Kittler für die Anwendung seiner Mißbrauchsthese auf Weltkrieg Zwei findet, ist Bletchley Park, das geheime Barackendörfchen, in dem die Englischen KryptologInnen enigma- also maschinenproduzierte Nazicodes entschlüsselt haben. Der berühmte erste Theoretische Informatiker der Welt, Alan Turing, hat dort gearbeitet, und mit der Anwendung seines Wissens und Genies auf die Probleme der Kryptologie die Entwicklung des Computers in England eingeleitet.


Daß der Zweite Weltkrieg

      trotzdem vielmehr zufälliger als notwendiger Weise die Computergeschichte beeinflußt hat, ist allerdings der Strich durch Kittlers Rechnung, den unser zweiter Blick, d. h. die Lektüre von Konrad Zuses Buch Der Computer - Mein Lebenswerk (CmL) ergab.

      Zuse nämlich hat seine Computer Z1-Z4 zwar während aber keinesfalls wegen des Zweiten Weltkriegs gebaut. Anders als Kittler behauptet, haben die Nazis die Chance schlicht verschlafen, Zuses Privatcomputer ernsthaft, und das heißt mit Dringlichkeitsbefehlen und mit jeder Menge Geld, für die Lösung ihrer (Informations-) Probleme einzusetzen. Zuses Maschinen sind im Zweiten Weltkrieg noch Zivilgerät geblieben; - weshalb der Computer wenigstens nicht wesentlich eine Kriegsmaschine ist.

      Diese vom Krieg und von den Enwicklungen in England unabhängige Mehrfachformulierung des Computers verdeutlicht auch, daß man Menschen, und nicht Ereignissen Vaterschaften zuschreiben sollte. Der Computer hatte mehrere Väter, zwei davon sind sicherlich Turing und Zuse, und einer davon stand als Privatmann in Zivil vor seiner Erfindung.



Abstract | Alan Turing | Konrad Zuse | Kittlers These | Literatur
Krieg als Problem der Informationsverarbeitung | Mehrfachformulierung des Computers


Dieser Text geht auf die Arbeit "Informatik & Heeresgerät" zurück, die wir Anfang 1997 anläßlich eines Seminars von Wolfgang Coy geschrieben haben.


© Goldstrasz/Pantle 1997