I&G Thomas Goldstrasz und Henrik Pantle


Computer während Weltkrieg Zwei

Konrad Zuse


Das Zuse-Zentrum für Informationstechnik

      Berlin (ZIB) schreibt die Kriegsbiografie Konrad Zuses als die Geschichte seiner Computer:

      1938 Fertigstellung der Z1, eines vollmechanischen programmierbaren Ziffernrechners (Versuchsmodell). Dieses Versuchsmodell war in der Praxis wegen der fehlenden Genauigkeit seiner mechanischen Bauteile nie funktionsfäig. (Ein Nachbau ist im Berliner Museum für Verkehr und Technik zu sehen.)

      1940 Fertigstellung der Z2, des ersten voll funktionsfähigen elektromechanischen Rechners der Welt

      1941 Entwicklung der Z3. Erstmalige Realisierung der Programmsteuerung unter Verwendung des binären Zahlensystems

      1945/46 Entwicklung des Plankalküls, der wahrscheinlich ersten EDV-Programmiersprache der Welt. Der Plankalkül ist ein Vorläufer der modernen, algorithmischen Programmiersprachen und umfasst auch Konzepte des logischen Programmierens.


In dieser Kurzbiografie

      findet der Zweite Weltkrieg, anders als in der von Alan Turing, keine Würdigung, - nicht einmal Erwähnung. Das ist auch nicht nötig, denn Weltkrieg II hat keinen produktiven Einfluß auf Zuse ausgeübt. Das Gegenteil ist der Fall gewesen:

      Nach dem Studium [Dipl.-Ing.] wurde ich Statiker bei den Henschel Flugzeugwerken. Es war das Jahr 1935. Aber ich gab diese Stelle bald auf und richtete mir eine Erfinderwerkstatt in der Wohnung meiner Eltern ein. Ich wollte mich ganz dem Computer widmen können. (CmL: 30)

      So beschreibt Konrad Zuse in seiner Autobiografie Der Computer - Mein Lebenswerk seine Ausgangslage. Die Erfinderwerkstatt eines besessenen Bastlers im Edisonschen Stil. Familie Zuse überließ ihrem Erfindersohn das große Wohnzimmer ihrer Wohnung; Freunde und Verwandte halfen mit Geld; die Mutter kochte für die versammelten Erfinder: Studienkollegen, isbs. Helmut Schreyer, halfen Konrad ("Kuno") Zuse bei der Transpiraton, die auf die Inspiration folgt mit Kopf und Körper weiter.


Mit seinen ersten Computern hat Zuse

      von Anfang an einen universellen Ansatz verfolgt. Schon 1937 finden sich in seinen Tagebüchern Notizen zum "Mechanischen Gehirn", das sämtliche Denkaufgaben lösen soll, die von Mechanismen erfaßbar sind. Zwar orientierten sich Zuses Testläufe vorwiegend an Problemen der Baustatik; - seinen verblüfften Koingenieuren erklärte er aber, daß seine Maschinen dereinst sogar imstande sein würden, Großmeister im Schach zu schlagen.

      1938 war die seit hundert Jahren vergessene Computertechnik (Babbages), mit der praktischen Neuerung Digitaltechnik, in Form Z1, wieder aufgetaucht. Keine kreative Struktur, wie in Bletchley Park, sondern ein einzelner kreativer Kopf hat das Ergebnis eines hektischen, gigantischen Aufklärungsbetriebes in seiner privaten Werkstatt ebenfalls formuliert; - zeitgleich und unabhängig. Dem hoch gesponsorten COLOSSUS in England (es standen Bletchley die Produktionsmittel einer ganzen Fabrik und unzählige Arbeitskräfte zur Verfügung) stehen in Deutschland die Low-Budget-Computer der Z(use)-Serie gegenüber. Sie sind nie gegeneinander ausgespielt worden.


Viel mehr als von der knappen Förderung

      einer späten Teilfinanzierung der Z3, die ihn auch nicht davon befreite, seine Computer größtenteils aus Abfällen zusammenbauen zu müssen, erzählt Zuses Biografie davon, wie es gelang, den Z4-Computer (und viel zu wenig Unterlagen), davor zu retten, bei Blitzkrieg oder Totalmobilmachung oder Berliner Bombenhagel, in die Asche des Vergessens zurückgefeuert zu werden.

      Alle Versuche, den Mächtigen, der Nazielite also, die Comptuertechnik schmackhaft zu machen, sind auf ziemlich taube Ohren oder Köpfe gestoßen: Kein Auftrag oder Befehl, keine Dringlichkeitsbescheinigung und keine ausreichenden Produktionshilfen des Militärs, haben den Ingenieur erreicht, der schon längst erfolgreich damit begonnen hatte.


Für die Arbeit an der Z4, die 1942 begann,

      konnte Zuse mitten im Krieg, neben seiner jetzt nur noch Teilzeit-Arbeit in den Henschel-Werken, eine fast zivile Firma gründen; die "Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau, Berlin". Zivil war sie insofern, als sie nur Personal bekommen konnte, die vom Krieg übriggelassen worden sind: Ungelernte Frauen, Diebe, Invalide und Verrückte. (Vgl. CmL: 58 & 72) Abeitskräfte für Projekte ohne Prioritäten. Qualifizierte Techniker mußte er sich bei den Henschel-Werken und vom Fernsprechamt stunden- oder tageweise ausleihen. Die Materialbeschaffung lief häufig unter der Hand ab, weil für eine offizielle Beschaffung die Dringlichkeit nicht reichte. Immer wieder mußten Einzelteile aus "Abfallkisten" zusammengesucht werden oder konnten irgendwo abgestaubt werden. Zuse trickste sich und seine Computerfirma durch den Krieg so gut es ging; er gelangte nie unter den Schutz und an das Geld drängender Kriegswichtigkeit. Zuse hat deshalb nichts extra für den Krieg erfunden; - er hat sich mit ihm arrangiert.


Zuses einziges Arrangement mit dem Krieg,

      das das Papier der Entwürfe und Verträge verließ - die Konstruktionen der Z-Computer orientierten sich sämtlich an der Mathematik der Baustatik (Vgl. FzK: 12), Zuses Chiffrierer wurde nie gebaut - ist die S1 gewesen; ein Spezialcomputer, der in den Henschel-Werken 1942-1944 für die Flügelvermessung ferngesteuerter fliegender Bomben eingesetzt worden ist. Es braucht schon einen stark usurpatorischen Begriff von Heeresgerät, um aus diesem Punkt eine kriegsbedingte Entwicklung des Computers in Deutschland zu schließen. Soweit es sich aus Zuses Text herauslesen läßt, ist die S1 keine besondere Neuerung, sondern eine Anwendung von Zuses Wissen gewesen. Wir neigen dazu, wegen der privaten, bürgerlichen Karriere dieses Wissens, Kittlers Mißbrauchssatz an dieser Stelle anders herum anzubringen: Die S1 ist kriegerischer Mißbrauch von Zivilgerät gewesen.

      Die Computergeschichte hat sich noch im II. WK einen schmalen zivilen Parallelweg gepflastert.



Abstract | Alan Turing | Konrad Zuse | Kittlers These | Literatur
Krieg als Problem der Informationsverarbeitung | Mehrfachformulierung des Computers


© Goldstrasz/Pantle 1997