I&G Thomas Goldstrasz und Henrik Pantle


Computer während Weltkrieg Zwei

Krieg als Problem der Informationsverarbeitung


"Die Rettung Europas",

      sagt Konrad, "hängt davon ab, wie schnell Nachrichten übermittelt werden können, und von gegenseitiger Verständigung, stimmt’s? Und was haben wir in Wirklichkeit? Eine Anarchie von eifersüchtigen deutschen Fürsten. Hunderte davon machen Pläne und Gegenpläne, zerstreiten sich untereinander und zersplittern die ganze Kraft des Reiches mit ihrem Gezänk. Wenn nun jemand, egal wer, die Nachrichtenlinien zwischen all diesen Fürsten in der Hand hätte, hätte er damit auch die Fürsten selber in der Hand. Dieses Netz könnte eines Tages den ganzen Kontinent vereinigen. Ich schlage also vor, daß wir uns mit dem alten Feind Thurn und Taxis zusammentun [...]. Wenn wir zusammenhalten", sagt Konrad, "kann uns keiner beikommen. Wir könnten also jeden Dienst, der nicht dem Reiche zugute kommt, einfach verweigern. Niemand könnte ohne unser Wissen Truppen bewegen oder landwirtschaftliche Produkte transportieren oder was weiß ich noch alles. Sowie ein Fürst auch nur versucht, sein eigenes Kuriersystem aufzubauen, wird das von uns vereitelt." (Vv49: 140)


Eine Allmachtsphantasie aus dem berühmten Dreißigjährigen Krieg,

      nachempfunden vom nicht minder berühmten Thomas Pynchon, dem wohl perfidesten und auch paranoidesten unter den Schriftstellern, die sich mit dem Krieg beschäftigt haben. Wer auch immer dieser im obigen Zitat auftretende Konrad sein mag; er sagt interessante Dinge: Er zeichnet die Kriterien vor, an denen sich ein Kommunikationssystem bis heute messen lassen muß. Die Geschwindigkeit der Übertragung von Information, und deren Verständlichkeit.Daß er hier ein weiteres Kriterium unterschlägt, liegt in der Natur seiner Rede: Das nämlich, wie gut fest- bzw. sicherzustellen ist, daß der Brief unbeschädigt, unverfälscht, ungelesen und unkopiert beim Adressaten ankommt: Das Speicher- und Übertragungsmedium sollte haltbar und sicher sein. Oder zumindest, und das ist Konrads kriegerischer Hintergedanke, sollte der Benutzer glauben, daß sein Kommunikationssystem sicher sei. Je fester dieser Glaube ist, je weniger die Sicherheit eines Systems in Frage gestellt wird, desto besser kann man es gegen seine Benutzer verwenden. - Die Geheimhaltung und die Desinformation brauchen Strategien, die den Krieg u.a. zu einem Problem der Informationsverarbeitung machen:


Wenn die sich postalisch zankenden Fürsten

      effektiv genasführt würden - z. B. indem durch ein Modul im Briefnetz alle Informationen planvoll umgeschrieben würden, alle Pläne abgestimmt, alle Beleidigungen in Bauchpinseleien verwandelt würden und jede Eifersüchtelei geschickt gekühlt, dann, so stellt sich Konrad die Rettung Europas wohl vor, könnte das Gezänk, durch einen geheimdienstlichen Zaubertrick während der Zustellung, schlicht invertiert werden. Aber, wie Bernhard Siegert mit Recht sogleich einwendet, "sie haben das Reich nicht vor dem Zerfall bewahrt. So wie Konrads Bundesgenossen, von Locke bis Habermas, das Reich der Sprache nicht vor ‘sinnlosem Gezänk’ gerettet haben. Immer bleibt der ewige Friede, das Reich der Engel, aus am Ende." (R: 7) Konrad hat sich hier zu viel erträumt. Es braucht nur ein Fürst andere Fürsten persönlich zu treffen, oder mit ihnen zusammen ein neues, dem Konrad unbekanntes Zankaustauschsystem zu etablieren, schon hat er seine Allmacht verloren, und - wenn die mit einem neuen Kommunikationssystem ausgestatteten Fürsten es darauf anlegen - einen mächtigen, weil mit unbekannten Waffen kämpfenden, Feind gefordert. Daß dies immer wieder der Fall ist, daß niemand es je geschafft hat, die Kontrolle auch nur über einen Länder, Kontinente oder sogar Weltumspannenden Informationsfluss lange in der Form aufrecht zu erhalten, daß er ihn ohne Zwischenfall für seine Macht- oder Kriegsinteressen benutzen konnte, dafür liefert die Geschichte genügend Beispiele: Die Informationskommandos der Gegenmächte schlafen nicht!


Aus dem Muster dieser Geschichte

      läßt sich erkennen, daß der Krieg einen besonders fruchtbaren Boden für die Entwicklung neuer Medien, sowie Codierungs bzw. Decodierungssysteme, bietet. Immer wieder müssen neue Systeme eingeführt werden um einen geheimen Informationsaustausch zu sichern. Immer wieder werden sie entdeckt und geknackt und bleiben nicht länger ein Vorteil ...
      Von diesem Muster sind Kittlers Geschichten aus GFT, mit denen er die Notwendigkeit des Krieges für die Entwicklung Neuer Medien beweisen will.


Ob deshalb im endlichen Frieden,

      der immerhin ein Reich der Menschen ist, neue Medienentwicklungen notwendig ausbeliben, dafür gibt es keinen Beweis am Ende.
      Die Geschichte, die Zuses zivile Parallelentwicklung des Computers im Deutschland des Zweiten Weltkriegs schreibt, läßt das Gegenteil sehr gut erahnen.



Abstract | Alan Turing | Konrad Zuse | Kittlers These | Literatur
Krieg als Problem der Informationsverarbeitung | Mehrfachformulierung des Computers


© Goldstrasz/Pantle 1997